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Den Wölfen im Oltrepo Pavese
(nördlicher Apennin) auf der Spur


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Entwicklung des Rudels 2023
Von Sabine Middelhaufe

Herbst

Ende August begannen die Hasenjäger, wie jedes Jahr, mit dem Training ihrer Laufhundemeuten und man hörte die Segugi oft Laut gebend durch das Gebiet fegen, in dem sich die Welpen aufhielten.
Das entging natürlich auch den Wölfen nicht und ich stellte am 24. August erstmals fest, dass die Jungtiere zwischen den Froschteichen und dem bewaldeten Rand einer Heuwiese, nur 500 Meter entfernt, pendelten
.

Oben: auf den Weg in die neue Rendezvous Zone.
Unten: Mit Sicherheit gab es erst im Gebiet der Wurfhöhle mehrere Ortswechsel, ehe die Welpen in die Rendezvous Zone
Wald gebracht wurden und dann von dort via Froschteiche zum Fluss.

Anfang September schien der Umzug in die neue Rendezvous Zone endgültig abgeschlossen, denn von nun an tauchten Welpen und Erwachsene nur noch vor den neu positionierten Fotofallen um die Wiese herum auf.

Der neue Treffpunkt bot außer dichtem Wald an einem relativ steilen Hang ohne menschengemachte Pfade und der weiten Spielwiese, auch etliche Bäche, die sich in den kleinen Fluss ergießen, der selbst im trockensten Hochsommer immer Wasser führt.
Trotz der offensichtlichen Nachteile feststehender Kameras, offenbarten die Videos faszinierende Einblicke in das Familienleben des Rudels. Zum ersten Mal konnte man z.B. sehen, wie die Jungen tief wedelnd und mit Schnauzenstoß ihre Eltern begrüßten, oder wie Vater Greyston und großer Bruder Alex abends mit den fünf Welpen auf der Wiese tobten, während Mutter Luna zuschaute.
Mitunter lagen die Kleinen auch einfach nur faul im Bereich der Kameras, machten Beißspiele oder kauten zufrieden an einem Knochen.

Oben: die Welpen begrüßen aufgeregt ihre Eltern und den großen Bruder Alex.
Unten: auf der Spielwiese.

Übrigens verloren die Fotofallen ihre Anziehungskraft im Laufe der Wochen keineswegs; die Welpen berochen die Geräte immer wieder und einmal gelang es ihnen sogar, den Kunststoffkasten mit der Pfote in eine neue Richtung zu drehen.

Oben: Faszination Fotofalle.
Unten: Fuchs und Wolf verfehlten sich nur um Sekunden..

Während Alex häufig in Begleitung seiner Eltern zur Rendezvous Zone kam und wohl auch Futter heran trug, tauchte die stark abgemagerte Alice stets nur allein auf. Zumindest von den Kameras wurde sie nie bei einer direkten Interaktion mit den neuen Geschwistern gesehen. Dabei müsste es – rein hypothetisch – sie gewesen sein, die in den ersten Wochen als Babysitter bei den Welpen blieb, während Greyston, Luna und Alex zwecks Beutebeschaffung unterwegs waren.

Oben und unten: Alice.

Für den Großteil des Monats war Greyston damit beschäftigt, weiterhin Beuteteile zu seinem Nachwuchs zu schleppen. Meistens handelte es sich um Reste von Rehen; den Losungsfunden nach zu urteilen wurden aber auch Wildschweine erjagt. Kleinere Tiere, wie etwa Hasen, ließen sich durch bloßes Anschauen der Losung freilich nicht ermitteln.
Derweil konnte man den Welpen beim Wachsen zuschauen. Mitte September, also nun 4 Monate alt, waren sie schon viel stattlicher als die kleinen Kerlchen, die am 17. August zu den Froschteichen umgezogen waren.


Dank zwei neuer Fotofallen zeigte sich auch, dass die fünf Geschwister in der letzten Monatshälfte immer weitere Erkundungsgänge unternahmen, sowohl in Generalrichtung Dorf, als auch längs des Flüsschens.
Und dann geschah etwas für sie völlig Neues: am 30.9. führten Greyston und Luna die Welpen abends vom Rendezvous Platz aus ein paar hundert Meter den Treckerweg entlang in die Büsche neben einer kleinen Wiese. Die lag zwar dummerweise außerhalb des Kameraradius, doch die vollen Bäuche der Wölfe, als sie nach einer Weile den Rückweg antraten, erlauben die Annahme, dass die Jungen erstmals zum Fressen zum Rissplatz gebracht wurden – statt wie bisher, das Fleisch zu ihnen zu bringen.
Interessant ist ferner, dass in dieser und auch den nächsten Tagen und Nächten immer wieder Welpen allein oder in der Gruppe mit den Eltern zum vermutlichen Rissplatz zurückkehrten.

Oben: Greyston und Luna führen ihre 5 Welpen erstmals zur erlegten Beute.
Unten: Greyston und eine kleine Tochter kehren zurück zum Futterplatz.

Unten: auf der Wiese rechts dieser Fotofalle befand sich vermutlich der Rissplatz.

Tatsächlich endete damit aber auch ihr Aufenthalt in der Zone am Fluss. Von nun an erschienen die Wölfe vor allem aus dem Wald kommend bzw. gingen dorthin zurück. Dabei passierten sie auch wieder die Fotofalle an der kleinen Kreuzung, wo die fünf Geschwister Mitte August zum ersten Mal gefilmt worden waren.

Oben und unten: bei der (etwas nach rechts gedrehten) Kamera, die die Welpen Mitte August erstmals gefilmt hatte.
Ganz unten: Auch Alice tauchte dort bisweilen auf, wie üblich allein, und folgte dann in die Richtung, die das Rudel genommen hatte.

Eine weitere wesentliche Veränderung im Oktober bestand darin, dass die Wölfe, Welpen oft inbegriffen, wieder zu unserem Dorf kamen. Greyston lief mehrfach mit großen Beutestücken im Fang an der Fotofalle vorbei, folgte dem Hauptweg, erreichte jedoch nie die nächste Kamera. Irgendwo zwischen den beiden Punkten bog er offensichtlich ab, nur – wo?

Oben: am 6.10. schleppte Greyston tagsüber etwas vorbei, das fast aussah wie eine Rehhälfte. 

Besonders interessant war der 19. Oktober.
Um 1 Uhr 23 und bei heftigem Regen eilte ein Welpe, Nase am Boden, an der Kamera vorbei. Er kam aus der Wiese vor meinem Haus, machte ein paar Schritte auf dem Treckerweg und bog dann ohne zu zögern links hinter den Büschen in die angrenzende Wiese ein. Nur 10 Minuten darauf trug Greyston einen Batzen Fleisch in die selbe Wiese und überquerte sie.
2 Uhr: der dunkle Welpe kam aus eben dieser Wiese zurück. Gefolgt von Greyston, den der Kleine überschwänglich begrüßte.
Um 2 Uhr 5 rannte der Welpe voraus in die Richtung, aus der sie kurz zuvor gekommen waren. Greyston eilte ihm nach.
Die Futterquelle, sprich das tote Wild, lag im Bereich hinter der Fotofalle, aber warum erschienen nur Vater und ein Welpe von dort? Befand sich der Rest des Rudels im Wald oberhalb des Dorfes, weshalb Greyston den Fleischbatzen dort ablieferte?

Sicher ist nur, dass sich das Schauspiel am nächsten Abend wiederholte: um 21 Uhr 23 fand sich, aus Richtung der vermutlichen Rissstelle kommend, ein sehr dunkler Welpe im Bereich der Fotofalle ein, schnüffelte ein bisschen herum und verschwand, wie gestern, in die Wiese hinter den Büschen. 2 Stunden darauf nahm Greyston die selbe Route und schleppte dabei ein großes Beutestück.

Und noch einmal in der Nacht des 21. Oktober. Und des 22. Oktober. Und des 23. Oktober, diesmal freilich mit dem wesentlichen Unterschied, dass Greyston, Luna und alle fünf Welpen präsent waren. Drei Stunden nach Passieren der Familie fand sich übrigens auch Alice ein, mager wie immer und ganz offensichtlich mit leerem Bauch.

Um zu begreifen, wohin genau die Wölfe zogen, wenn sie bei der Fotofalle links nach oben abbogen, suchte ich tagelang nach Spuren, was auf steinigem, mit nassem Laub bedeckten Waldwegen fatal an Nadeln und Heuhaufen denken lässt. Nur an einer erdigen Böschung fand ich etwas: den einzelnen Pfotenabdruck eines möglichen Wolfs. Ich brachte eine Fotofalle dort an und hatte Glück: gleich in der ersten Nacht kamen die Wölfe die Böschung hinunter gesprungen. Ein paar Tage später erwischte die Kamera hier noch einen einzelnen Welpen.

Mit mehr Klarheit über die möglicherweise genutzten Wege, installierte ich an diversen Punkten weitere Fotofallen. Lediglich eine der neuen Positionen erbrachte einen Treffer.
Immerhin bewiesen die Aufnahmen der Kameras insgesamt aber, dass die fünf Welpen ihre Eltern seit Oktober auf den Kontrollrunden begleiteten. 
Im November reduzierten sich die Sichtungen drastisch, brachten jedoch eine erfreuliche Beobachtung: am 17.11. begleitete Alice ihre Eltern, Bruder Alex und die fünf halbjährigen Welpen. Welche Funktion und Rangposition sie im Rudel auch haben mochte, sie gehörte in jedem Falle dazu. Trotz ihrer so häufigen Alleingänge.

Oben: Luna ist bereits vorbei gegangen, links sieht man Greystons Hinterlauf, fünf mehr oder weniger gut erkennbare Jungtiere in der
Bildmitte und im Hintergrund zwei weitere Augenpaare.

Im Dezember schließlich, gingen die Wölfe nur ganze sechs Mal in die “Falle”. Die Sichtung am 31.12. kurz vor Mitternacht hat freilich bestätigt, dass die fünf Jungwölfe weiterhin gesund und munter sind.

Was 2023 anders war
Bis auf den schwarzen Wolf oder Wolfsmischling im April wurden 2023 keine rudelfremden Wölfe mehr im mit Fotofallen überwachten Gebiet gesichtet.
Übrigens wurde dieses Halsband tragende schwarze Tier vom Leiter des Monitorings der Uni Pavia nach Sichtung des Videos zum Malinois erklärt. Der Herr meinte vermutlich Groenendael, also den schwarzen Belgischen Schäferhund, nur bleibt das wesentliche Problem damit ungelöst: wenn nämlich der Schwarze von 2023 ein Hund wäre, gälte diese Ferndiagnose dann auch für die schwarze Fähe von 2021 und 2022? Und die schwarzen Mitglieder des Droopy – Whitesocks Rudels, nebst dem schwarzen Welpen vom Froschteich 2020? Und die zwei Schwarzen in Begleitung eines normalfarbenen Wolfs im Frühjahr 2018..?
Oh, und nicht zu vergessen die zwei schwarzen Individuen die 2022 von der Uni in einem siebenköpfigen Nachbarrudel, nur gute 6 km von uns entfernt entdeckt wurden? Oder die beiden Schwarzen, die im Frühjahr 2023 im Städtchen rund 12 km nordwestlich von unserem Dorf ebenfalls als Mitglieder eines Rudels angesprochen wurden?
Es kann sehr gut sein, dass der Schwarze vom April 2023 tatsächlich ein Hund war. Es kann aber ebenso gut sein, dass die hier in den Bergen nach wie vor verbreitete Form der Selbstjustiz gegenüber “schädlichen” oder unerwünschten Wildtieren durch illegale Tötungen bzw. Fänge mittels diverser Arten von Fallen einem jungen schwarzen Wolf oder Wolfsmischling zum Verhängnis wurde. Da in unserer Gegend schon das Wissen von der angemessenen Haltungs- und Erziehungsmethode eines Haushundes nur minimal ist, kann man sich gut vorstellen, dass so ein Jungwolf schnell zum Problem wird und man ihn lieber in die Freiheit entlässt. Sofern er sich nicht selbst aus dem Staube macht.
Wären all die frischen Kotproben für die DNA Analyse, die wir 2021/2022 fleißig gesammelt hatten, nicht zerstört worden, weil das Projekt zur genetischen Bestimmung der anwesenden Wölfe angeblich erst Anfang 2023 begann oder wieder begann, - und wen kümmern dann noch Proben von vor zwei Jahren? - bestünde längst Klarheit über Droopys und seiner Nachkommen wahre Identität.  So aber werden wir nie erfahren, ob Droopys Vater, Großvater oder Urgroßvater ein Hund war.
Hoffen wir, dass wenigstens die 2023 genommenen Proben tatsächlich ausgewertet werden.

Um endlich etwas mehr über die territorialen Größenverhältnisse des Greyston-Luna Rudels ans Licht zu bringen, wurden von Frühjahr bis Sommer Fotofallen an weiter vom Kerngebiet der Familie entfernten Punkten aufgestellt, weil sich dort eindeutige Wolfslosung und/oder Wolfsfährten fanden. Das Ergebnis bestätigte frühere Vermutungen. Alle Wölfe, die innerhalb oder auf den orangenen Linien gefilmt wurden, gehörten zum Rudel. Leider wissen wir nicht, wie weit sich die Tiere außerhalb des orangenen Bereichs entfernten, denn dazu fehlten die ergänzenden Kameras.

Alle Wölfe, die innerhalb oder auf den orangenen Linien gefilmt wurden, gehörten zum Rudel.

Aufschlussreich ist freilich, das Territorium einmal im Bezug zu den angrenzenden Territorien zu stellen. Die Uni Pavia untersuchte für 2023 u.a. ein Gebiet von ca. 23 x 26 km, also fast 600 qkm, und wies darin nach: 8 Rudel (mit 3-9 Individuen), drei Standorte an denen mehrfach zwei Wölfe zusammen gesehen wurden sowie 14 Einzeltiere.
Der aufmerksame Leser wird stutzen: 8 Rudel auf 600 Quadratkilometern? Wo doch in Deutschland die Wolfsreviere durchschnittlich 200 qkm groß sind?
Topographie spielt hier sicherlich eine Rolle. Wenn man ein DIN A4 Blatt kräftig zerknüllt, dann nur die Ränder wieder glatt streicht und es auf den Tisch legt, nimmt es eine wesentlich geringere Fläche ein als vorher, als es glatt und faltenfrei war. Schon auf der Satellitenkarte erkennt man, wie stark gefaltet die Berge bei uns sind und dabei ist die endlose Zahl winziger Täler, Einschnitte, Senken und Bachläufe gar nicht einkalkuliert. Vom Höhenunterschied ganz zu schweigen. Ein Wolf, der in Luftlinie 10 km zurücklegt, läuft in Wahrheit 20-30 km.

Die Untersuchungsmethode der Studenten besteht darin, Fotofallen für eine begrenzte Zeit (meist um die 3 Wochen) an der bestimmten Position hängen zu lassen und anschließend die Videos auszuwerten: die höchste Zahl an Individuen, die gemeinsam auf einem Film zu sehen ist, gilt als Rudelgröße. Geraten stets nur zwei Tiere vor die Kameralinse und sind unzweifelhaft als Erwachsene anzusprechen, kann man sie als Paar einstufen.
Dass diese Art der Bestandsaufnahme für eine hohe Ungenauigkeit anfällig ist, liegt auf der Hand.
So könnten etwa die zwei Individuen, die am unteren Rand des Greyston-Luna Territoriums nur wenige hundert Meter von meiner Fotofalle entfernt und zu einem anderen Zeitpunkt von einer Falle der Uni aufgenommen wurden, ohne weiteres zu unserem Rudel gehören.
Der äußerste linke Punkt des Greyston - Luna Territoriums liegt auf einem Bergrücken. Es gibt keinen vernünftigen Grund anzunehmen, dass Greyston & Co. den nicht einfach weiter entlang wandern und nach 5 km bequemen Gehens dort anlangen, wo die Uni ein vierköpfiges Rudel festgestellt hat.
Eine Möglichkeit, die Identität der vier Wölfe zu klären, bestünde darin, Datum und Uhrzeit ihres Erscheinens mit meinen Videos aus dem gesicherten Territorium unseres Rudels zu vergleichen: wenn sich auch nur einer der vier – Greyston, Luna, Alex oder Alice – im Kerngebiet der Familie aufhielt, müssten die vier Wölfe, die etwa zeitgleich etliche Kilometer entfernt gefilmt wurden zu einem anderen Rudel gehören.
Je nach Qualität der Videos wäre auch ein individuelles Erkennen der Wölfe denkbar. Leider ist die Uni daran scheinbar nicht interessiert und nimmt zweifelhafte Resultate in Kauf.
Zum Glück lässt sich das am nächsten lebende, siebenköpfige Rudel nicht mit unserem verwechseln, denn zwei Mitglieder der anderen Familie sind schwarz.


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Winter 2023/2024

Text und Fotos (c) Sabine Middelhaufe, 2023

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