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Wölfe

Den Wölfen im Oltrepo Pavese
(nördlicher Apennin) auf der Spur


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Wölfe oder "Wogs"?
Von Sabine Middelhaufe

Insbesondere die vielen Videoaufnahmen bei Tageslicht warfen ab September im wahrsten Sinne des Wortes ein neues Licht auf unser Wolfsrudel, seine Struktur und Mitglieder. 
Mit Hilfe von Dr. Federico Morimando (Uni Siena) konnte ich an ihrem Verhalten, speziell dem Markieren an Wegkreuzungen, zunächst einmal das Alphapaar identifizieren und später auch einige andere Individuen.

Das da unten ist Droopy, der Alpharüde, so getauft wegen seiner herabhängenden (drooping) Ohrspitzen. Je nach Licht wirkt er fast schwarz oder sehr dunkelgrau und wird deshalb in der allgemeinen Farbverteilung des Rudels zu den schwarzen Tieren gezählt.
Er hat weiße Pfoten, einen deutlichen weißen Fleck an der Innenseite des rechten Oberschenkels, eine hellgraue Brust und helle Flecken im Gesicht und am Körper. Viele der Letzteren sind aber in Wahrheit von Räude verursachter Haarausfall.
Woran sich Droopy auch bei Nachtaufnahmen erkennen lässt, das sind seine im Vergleich zu den anderen Rudelmitgliedern dickere, buschigere Rute, die Wamme und natürlich das Kippohr. Er hat nie eine Fotofalle unbegleitet passiert.

    Die Fotos machen klar, dass Droopy nicht mehr der Jüngste ist; auf den Videos zeigen sein schon etwas steifer Gang und die allgemeine Erscheinung das noch deutlicher. Eine genaue Altersbestimmung ist nicht möglich, aber wäre Droopy ein Hund, der unter anstrengenden, entbehrungsreichen Bedingungen lebt, würde ich ihn auf ca. 8 Jahre schätzen.


      Was ist Droopy nun, Wolf oder Wog (wolf-dog-hybrid)? Sicher kann man sagen, dass es sich hier nicht einfach um eine natürliche Phänotyp-Variation des italienischen Wolfs handelt; Mischlingshunde seines Typs lassen sich vielerorts in den kleinen Bergdörfern finden. Droopy könnte also ohne weiteres ein Kreuzungsprodukt aus Wölfin und Schäferhundmischlingsrüden sein. Gewissheit würde natürlich nur ein DNA Test liefern. 

Und das ist Whitesocks, das Alphaweibchen. Auch sie hat weiße Pfoten und eine weiße Brust, wobei zu bedenken ist, dass hellsandfarbene, fast weiß wirkende Pfoten und Oberschenkelinnenseiten beim italienischen Wolf durchaus anzutreffen sind. Ebenso der senkrechte dunkle Streifen auf Whitesocks Stirn. Was auf Kruppe, Rücken und über den Schultern auf den ersten Blick wie helle Flecken wirkt, sind große kahle Stellen durch Räudebefall. Die Rutenspitze ist schwarz, die Oberseite der Rute dunkel. 
Erst die Filmaufnahmen lassen erkennen, dass sich auch Whitesocks schon recht steif und behäbig bewegt und die Eleganz ihres Körperbaus mit zunehmendem Alter verloren hat.


Wolf oder Wog? Auf den ersten Blick würde man die graubraune Whitesocks mit dem dunklen Rücken wohl als Wölfin ansprechen. Äußerlichkeiten können aber täuschen und wieder müsste der DNA Test Gewissheit bringen.
Glücklicherweise hatte Whitesocks vor der Fotofalle mit Kot markiert, den ich nur Stunden später einsammeln konnte. Sofern die Proben es hergeben, wissen wir nächstes Jahr, ob sie tatsächlich eine reine Wölfin ist.
Whitesocks ist nur zweimal allein vor einer Fotofalle erschienen und ansonsten stets in Begleitung von Droopy, der, nachdem sie gekotet oder uriniert hat, auch seinerseits immer markiert. Andere Rudelmitglieder wurden zwar oft dabei beobachtet, die Duftmarken des Alphapaars zu beriechen, aber niemand hat je an der selben Stelle markiert.

Meangrey (rechts und oben) ähnelt vom Typ her sehr der Alphawölfin Whitesocks. Auch er (die Geschlechtszuordnung ist bisher allerdings nicht vollkommen geklärt) ist graubraun, dunkler über den Schultern, kräftig gebaut, mit einem senkrechten, dunklen Streifen auf der Stirn und vermutlich wie Whitesocks mittleren Alters.
Was ihn  unterscheidet sind graubraune Hinterpfoten, nur zwei weiße Zehen an der rechten Vorderpfote, außer der schwarzen Rutenspitze auch ein markanter schwarzer, fast dreieckiger Fleck etwa 10 cm unterhalb der Schwanzwurzel.

Beide, Meangrey und Whitesocks, erinnern stark an das graubraune Duo das ich im März 2018 in persona traf, die zwei Tiere - unten links der Rüde - trugen damals allerdings ihr Winterfell, wodurch sie massiver und die Ohren kleiner erscheinen.
Ob hier nur Ähnlichkeit besteht oder es sich wirklich um die selben Individuen handelt werden wir nie feststellen können.
Rechts unten zum Vergleich eine, zumindest phänotypisch echte italienische Jungwölfin im (räudigen) Sommerkleid.  

Greygirl ging Mitte Februar 2020 als stark von Räude befallene, körperlich noch nicht voll entwickelte Jungwölfin von geschätzten 9 Monaten in die Fotofalle. Sie erscheint fast einfarbig grau, mit eher graubraunem Hals und weißem Kehlfleck.
Da zwischen Mitte Februar und Juli keine Fotofallen zur Verfügung standen, und Greygirl  offensichtliche Eigenschaften fehlen, anhand derer man sie bei Nachtaufnahmen von anderen grauen Jungtieren unterscheiden könnte, lässt sich bisher leider nicht sagen, wie oft sie in Gruppenaufnahmen präsent ist.  


Der vollkommen schwarze Blackboy (die hellen Stellen sind auch bei ihm räudebedingter Haarausfall) fällt im Dunkeln und erst recht bei Tageslicht durch den markanten Übergang vom Bauch zu den letzten Rippen auf. Sein verhältnismäßig leichter, noch nicht „gesetzter“ Körperbau, im dünnen Sommerfell gut sichtbar, und der mühelose, sehr elegante Trab (man fühlt sich ein bisschen an einen jungen Groenendael erinnert) lassen vermuten, dass er ein Jungrüde aus dem 2019er Wurf ist. Ihn eher als Enkel oder Urenkel eines Schäferhundes denn eines Timberwolfs zu sehen, fällt leicht.
Äußerst interessant: Blackboy ist das einzige Rudelmitglied das häufig allein mit Droopy und Whitesocks gefilmt wurde, und wann immer das Alphapaar mit einer Gruppe unterwegs ist, gehört Blackboy dazu. Welche Bedeutung diese enge Bindung an die beiden Alten hat, wird sich hoffentlich im Laufe des nächstes Jahres ergründen lassen.

 

 

 



Blackroller
(unten) wurde wegen seines unverkennbaren Gangs (rolling gait) so getauft; auf manchen Videos entsteht der Eindruck, als würden seine Hinterpfoten leicht nach außen weisen. Blackroller ist einfarbig schwarz, zeitweise mit den bekannten hellen „Räudeflecken“ und kräftig gebaut.
Von Droopy lässt er sich gut unterscheiden, weil seine beiden Ohren perfekt aufgerichtet und alle vier Pfoten schwarz sind.
Bewegung und Körperbau weisen auch hier auf ein voll ausgereiftes Tier hin.
Blackroller befindet sich immer in den vom Alphapaar begleiteten größeren Gruppen, führt aber auch gelegentlich selbst zwei oder drei Rudelmitglieder.


Blackshep
lässt, wie sein Name schon suggeriert, an einen Deutschen Schäferhund denken. Er (die Geschlechtszuordnung ist noch nicht vollkommen geklärt) hat eine schwarze oder tief dunkelgraue Decke, rötlich-sandfarbene Läufe und Brust, helle Behaarung ums Waidloch, einen senkrechten schwarzen Streifen auf der Stirn, fast weiße Maske, große helle Punkte über den Augen, aber was ihn vor allem von den anderen Rudelmitgliedern abhebt sind die breiten hellen Streifen auf beiden Halsseiten. Seinem Gang nach zu urteilen handelt es sich in keinem Falle um ein Jungtier.


Der namenlose Welpe, der Anfang Oktober 2020 in Begleitung zweier Erwachsener die Fotofallen passierte, kam als absolute Überraschung. Trotz der ungünstigen Perspektive der Aufnahme fällt es schwer zu glauben, dass dies ein etwa fünf Monate alter Wolfswelpe sein könnte. Er ist klein, zierlich, im Übrigen durch starke Räude fast kahl und hat einen dermaßen vollen Bauch, dass man sich fragt, wieso er kurz nach einem üppigen Mahl überhaupt unterwegs ist.
Es stimmt, dass der graue Welpe von Ende Juni deutlich kleiner war als der schwarze, der damals die Größe, Masse und Geschicklichkeit eines gut entwickelten achtwöchigen Schäferhundwelpen hatte. Klar, der abgebildete Welpe könnte dieser graue Winzling sein, der sich einfach schlecht weiterentwickelt hat.
Die alternative Erklärung wäre, dass der Kleine tatsächlich erst 12-14 Wochen alt ist und aus einem zweiten Wurf innerhalb des Rudels stammt.
    
Keine vier Wochen nach diesen Aufnahmen wurden die Fotofallen der Uni entfernt und niemand weiß genau, was aus diesem und den anderen Welpen wurde. 

Wie frustrierend es ist, ein Tier nicht zu erkennen, macht eine interessante Beobachtung vom letzten Septembertag nur zu deutlich: abends um kurz nach acht, es war schon dunkel, erschien Blackroller vor der Kamera, untersuchte Whitesocks Markierstelle und stand dann minutenlang recht unentschlossen herum, während er in Richtung der alten Rendezvous Zone bei den Froschteichen witterte und lauschte. Wegen der schlechten Audioqualität der Fotofalle ist nicht klar, ob die anderen Wölfe dort schon heulten. Schließlich zog er ab, nur um zwanzig Minuten später von einer schlanken, grauen, jugendlich wirkenden Wölfin ersetzt zu werden, die ebenfalls die Markierung untersuchte und dann dankenswerterweise vor der Kamera zu heulen begann. Diesmal gab es keinen Zweifel, dass sie von oberhalb Antwort erhielt. Die Graue blickte ständig den Weg auf und ab, als ob sie auf jemanden wartete und entfernte sich dann auf Blackrollers Spur.  
Nach sechs Stunden erschien sie plötzlich aus eben der Richtung, in die sie verschwunden war –  eskortiert von Blackroller, der ihr mit hoch erhobener Rute ganz wörtlich auf den Fersen folgte und jenem kleinen Welpen, der ihnen mit sichtbar vollem Bauch im Schweinsgalopp hinterher rannte. Auch am folgenden Abend tönte es lange und vielstimmig von der alten Rendezvous Zone, was die Vermutung nahelegt, dass sich dort nun das ganze Rudel versammelt hatte.  
War die unidentifizierte Graue die Mutter des räudigen Welpen und Blackroller der Vater oder nur der Begleitschutz? Da der schwarze Rüde unzweifelhaft zum Rudel gehörte, ist gewiss, dass auch die Graue und der Welpe Familienmitglieder waren.
Hätten in der wichtigen Zeit der Läufigkeit und Schwangerschaft Fotofallen diesen Hauptweg des Rudels abgedeckt, wüßten wir, ob 2020 tatsächlich zwei Würfe fielen und von wem.
Hätte die Uni im Oktober vier Fotofallen an Ort und Stelle belassen, wäre mittlerweile wohl schon manches Rätsel gelöst.

Aber leider beschränkte sich das offizielle Wolfsmonitoring auf das Sammeln von Daten, die entsprechende Computer Software dann in Wahrscheinlichkeiten umrechnet: welche Höhenlagen könnten von Wölfen besiedelt werden, welche Vegetationszonen, welche Beutetiere könnten sie bevorzugen, welche Ausmaße könnten ihre Territorien haben und dergleichen mehr. Das produzierte hübsche Tabellen, farbige Abbildungen und bot Gelegenheit für neue wissenschaftliche Veröffentlichungen. Die wirklichen, leibhaftigen Wölfe (oder Wogs), wie sie um unser Dorf herum vorhanden sind, gerieten dabei leider völlig in Vergessenheit...
  

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Text und Fotos (c) Sabine Middelhaufe, Dezember 2020

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