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Wölfe

Den Wölfen im Oltrepo Pavese
(nördlicher Apennin) auf der Spur


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Entwicklung des Rudels 2021: Sommer - Herbst
Von Sabine Middelhaufe

Das Alphapaar war im Mai und Juni sehr präsent und regelmäßig an den Fotofallen vorbei gekommen, was vermuten lässt, dass sich die Wurfhöhle und später der erste Welpenspielplatz in relativer Nähe des Gebiets befanden, das von den Kameras abgedeckt war.
Übrigens unterscheiden sich die Angaben in puncto Distanzen je nach Literaturquelle: in Deutschland zum Beispiel werden Untersuchungen aus Osteuropa zitiert, nach denen die Wolfswelpen in den ersten beiden Lebensmonaten statistisch 2,2 Mal den Bau wechseln, der 0,5 – 7,0 Kilometer von der zuvor genutzten Höhle entfernt liegen kann.
Morimando aus Italien gibt hingegen an, dass die Welpen während ihrer ersten zwei, drei Lebenswochen in der Wurfhöhle bleiben und dann - von der Fähe getragen oder von ihr angeführt - zu einem neuen Bau gelangen. Dieser Umzug wiederholt sich fortan alle 7-12 Tage und entfernt die Welpen jeweils um 200 - 400 Meter vom vorherigen Standort.
     Die Beobachtungen in Belarus und Polen liefern auch Angaben über den Aktionsradius der trächtigen Wölfin, der sich von 5,5 Kilometern in der zweiten Schwangerschaftswoche auf 3,7 Kilometer in den letzten 10 Tagen reduziert. Von nun an hält sie sich für weit mehr als die Hälfte der Zeit in der Wurfhöhle und deren unmittelbarer Umgebung auf. Für die ersten 10 Tage nach dem Werfen steigt diese Zeit auf 85% an und die Fähe bleibt in einem Umkreis von ca. 900 Metern um die Wurfhöhle. Im Laufe der folgenden drei Wochen reduziert sich die Zeit in und um die Wurfhöhle auf 74% und erreicht etwa in der siebten Lebenswoche der Welpen 65%. Erst 8 Wochen nach der Geburt bewegt sich die Mutterwölfin wieder in ihrem normalen Aktionsradius.
   Mit einer angemessenen Zahl von Fotofallen und deren regelmäßiger Kontrolle wäre es relativ einfach, solche wichtigen Daten auch für unser Rudel zu ermitteln, aber leider sind die zuständigen Institutionen bei uns daran nicht interessiert.

Droopy und Whitesocks.

Im Juli verschwanden Droopy und Whitesocks dann plötzlich von der Bildfläche. Vielleicht, weil sie mit den Welpen umgezogen waren.
   Das andere Paar zeigte sich im Mai ebenso häufig, reduzierte seine Anwesenheit im Juni aber schon deutlich. Da Luna früher geworfen hatte als die alte Wölfin, könnten sie und Greyston ihren Wurf auch früher in eine neue Umgebung gebracht haben. Im Laufe des zweiten Lebensmonats werden Wolfswelpen ja immer aktiver, neugieriger und brauchen einen sicheren Spielplatz und Aufsicht. Also vielleicht nicht verwunderlich, dass die Eltern nur einmal Mitte Juli auftauchten.
     Entsprechendes taten Droopy und Whitesocks, allerdings eine Woche später. Der Juli wurde quasi ein wolfsloser Monat, denn auch von den anderen war keine Spur.
    Seltsamerweise glänzten die bisher stets einzeln beobachteten Wölfe Charlotte und Blackgirl sowie Mona und Grey I, wenn man sie denn mitzählen will, im August weiterhin mit kompletter Abwesenheit, während die vier Elterntiere wieder präsenter denn je waren.

Oben Greyston und Luna, unten Droopy und Whitesocks.

     

    Im September geschah dann etwas Unerwartetes: Charlotte trieb sich die ersten zehn Tage häufig in der Fotofallen-Zone herum, freilich immer zwischen den frühen Morgen- und Abendstunden.

Charlotte.

Und just am Morgen des zehnten Tages wurde am Dorfrand ein Rehbock gerissen. Der Riss war noch ganz frisch, als ich den Blutspuren auf dem Weg folgend zum Opfer kam und die Bissspuren an der Drossel waren deutlich erkennbar.

Die Tatsache, dass noch ein verlockender Rehlauf dalag, könnte außerdem bedeuten, dass die Frühstückenden sich, weil gestört, überstürzt aus dem Staube machten. Sollte ich dieser Störfaktor gewesen sein, bin ich sehr froh, dass die Wölfe sich zurückzogen. Vielleicht war es aber auch nur ein Fuchs, der vom Jagdglück der Wölfe profitieren wollte und sein Mittagessen fallen ließ, um ungehindert zu fliehen.

Nachmittags um halb fünf passierte Charlotte die erste Fotofalle aus Richtung Riss kommend. Allerdings bezweifle ich, dass sie den Bock gerissen hatte, erst recht allein, und ihr Bauch wirkte auch nicht sonderlich voll.

Charlotte.

Am nächsten Morgen war bis auf ein paar Haarbüschel und Blutflecken nichts mehr vom Reh zu finden. Aber Droopy und Whitesocks kehrten später mit prallen Wänsten aus Richtung Fundort zurück

Droopy und Whitesocks.

Die zwei Alten dominierten in puncto Anwesenheit die zweite Monatshälfte, markierten sehr entschlossen ihr Territorium und liefen mehrfach in höchster Aufregung an den Kameras vorbei. Greyston und Luna hingegen ließen sich nur am Ende des Monats blicken.
Auch der Oktober gehörte dem Alphapaar, das weiterhin sein Territorium kontrollierte und markierte.

Whitesocks markiert das Territorium

Doch den Wow-Effekt lieferten Greyston und Luna. Am 7. Oktober passierten sie abends die Fotofallen zum ersten Mal in Begleitung von vier kräftigen Welpen. Noch interessanter ist vielleicht der Umstand, dass drei der Kleinen gut anderthalb Stunden später erneut an den Kameras vorbei kamen, diesmal auf dem Rückweg in den Wald und allein. Vielleicht, weil die aktuelle Kinderstube zumindest nicht allzu weit entfernt lag, so dass auch fünf Monate alte Welpen sie problemlos und selbständig erreichen konnten?

Greyston und Luna – gefolgt von vier Welpen.

Das Erscheinen des Nachwuchses warf natürlich die Frage auf, wieso nicht auch das Alphapaar endlich von seinen Jungen begleitet wurde. Aber das war auch im Vorjahr (zumindest im Bereich der Fotofallen) nicht geschehen. Hatte der Wurf möglicherweise gar nicht überlebt? Untersuchungen im Ausland haben gezeigt, dass die Welpensterblichkeit ganz wesentlich von der Anzahl der Rudelmitglieder abhängt, die dem neuen Nachwuchs Futter, Schutz und Wärme garantieren. Nehmen fünf oder weniger Tiere an der Versorgung der Jungen teil, sinkt deren Überlebenschance bereits auf 68%. Wir wissen aber, dass bei uns außer den beiden Elternpaaren nur drei oder vier weitere Wölfe anwesend waren und überdies in äußerst unregelmäßigen Abständen. Wir wissen ferner, dass keiner von ihnen je in Begleitung eines der Elternpaare auftauchte, was ihre Teilnahme an der Welpenaufzucht eher unwahrscheinlich macht. Für betagte Tiere wie Droopy und Whitesocks, die überdies schon zu Winterende wieder stark von Räude befallen waren, erwies sich der Versuch, ihren Nachwuchs allein zu versorgen möglicherweise als erfolglos. 
    Blackgirl kam einmal des Weges – allein und nach über vier Monaten Abwesenheit.

Blackgirl.

Im November änderte sich die Situation erneut. Droopy und Whitesocks zogen sich etwas zurück. Sie passierten die Fotofallen kaum noch.
Ihr erster Besuch des Monats war allerdings sehr interessant, denn zuvor war schon Charlotte zur Kameraposition gekommen, fand eine Wildschweinschale im Gebüsch und wälzte sich genüßlich auf dem Schweinefuß, nachdem sie entschieden hatte, dass das Ding zu fressen nicht lohnte. Dann zog sie weiter. Droopy schenkte der zurückgelassenen Schale wenig Beachtung und entfernte sich bald. Whitesocks fand die anwesenden Gerüche wesentlich attraktiver. Sie hielt sich etliche Minuten dort auf, doch auch sie blieb völlig entspannt. Charlottes deutliche Witterung veranlasste sie nicht einmal, den Schwanz wesentlich über Rückenhöhe zu heben oder gar zu markieren. Könnte das ein Indiz dafür sein, dass Charlotte eben doch ein Nachkomme des Alphapaars ist? 

Droopy und Whitesocks – überhaupt nicht beunruhigt von Charlottes Witterung.

Stunden später kehrte Charlotte wieder zurück, zeigte sich keine Spur beeindruckt von der Witterung der Alten, sondern steuerte direkt auf die Sauschale zu, spielte ein bisschen mit ihr herum, wälzte sich wieder darauf und verschwand schließlich mit ihr im Fang in die Büsche.

Charlotte wälzte sich erst wieder ausgiebig auf der Wildschweinschale ehe sie damit abzog.

    Anfang November geschah noch etwas anderes: als ich nachts hinterm Haus die Taschenlampe anknipste, fand ich drei, vier Meter entfernt stehend einen erwachsenen grauen Wolf mit einem frischen Rehlauf im Fang. Ich bin nicht sicher, wer von uns beiden sich mehr erschrocken hat.
Der Wolf verschwand dann mit ein paar zügigen Schritten im Wald und wie die Spurensuche am nächsten Mittag ergab, hatte er (oder mehrere Wölfe) das Reh in einer angrenzeden Wiese am Waldrand erbeutet. In der Zwischenzeit hatten freilich schon viele hungrige Mäuler die Rissstelle gesäubert und ich fand nur noch kleinere Reste und Haare.

Droopy und Whitesocks wurden Mitte und Ende November noch einmal gesichtet, allerdings von einer Kamera der Uni, die weiter oben in den Bergen, am weitesten vom Dorf entfernt  installiert war.
    Greyston und Luna hingegen erschienen im November öfter als in jedem anderen Monat, nämlich neun Mal, und bei vier Gelegenheiten auch ihre sichtlich vollgefressenen Welpen. Allerdings nur noch zu dritt. Die Welpensterblichkeit ist wie schon erwähnt sehr hoch, also durchaus denkbar, dass einer der Jungen eingegangen ist.
Bei einem Besuch Mitte November interessierten sich die Eltern deutlich für eine bestimmte Stelle am Boden, obwohl zunächst nicht klar war, worum es ging. Gut zwei Stunden später kehrte dann ein Welpe dorthin zurück und trug schließlich etwas fort. Dass es von ernährungstechnischer Bedeutung war, darf man bezweifeln, denn ansonsten hätten Greyston und Luna es wohl kaum liegen gelassen. Vielleicht war es ein totes Tier, mit dem der Welpe herum spielen und vor seinen Geschwistern „angeben“ konnte.

Die Welpen haben sichtlich Respekt vor ihren Eltern.

Sie warten ab, bis die Alten die Inspektion beenden.

Erst dann untersuchen zwei von ihnen selbst die Stelle.
Der Dritte hält sich unsicher zurück.

Bis den Welpen klar wird, dass ihre Eltern längst weitergegangen sind. -
Unten: nach gut zwei Stunden trägt einer der Welpen etwas fort.

Da  Greyston und Luna in der letzten Novemberwoche nur noch die von der Uni Kamera überwachte Route zu frequentieren schienen, die auch von Droopy und Whitesocks benutzt wurde, verschob ich eine meiner Fotofallen an jene Kreuzung, wo die Tiere sich entscheiden mussten, ob sie Richtung Dorf oder zur Fotofalle der Studenten weitergehen würden.
Natürlich kamen sie genau in der folgenden Nacht wieder aus dem Dorf, passierten dankenswerterweise noch die dortige Kamera, aber gingen an der Kreuzung gerade eben außerhalb des Bereichs der Falle vorbei.

Luna gefolgt von Greyston und rechts kommt ein Jungwolf dazu.
Unten die beiden anderen Jungwölfe.

Zum Glück hatte es mittlerweile geschneit, eine gut 10 Zentimeter hohe Schneedecke schuf wunderbare Bedingungen für die Fährtensuche und ich konnte den Weg von Lunas ganzer Familie für einige Kilometer verfolgen. Sehr interessant war dabei die Entdeckung, dass das Rudel sich bei dieser Wanderung an den größeren Weggabelungen aufteilte, sodass beide Grüppchen zwar nebeneinander jedoch 20-50 Meter voneinander entfernt in die selbe Richtung liefen, bis sich die Wege wieder vereinten. Da niemand in die Büsche abbog, dürften nicht jagdtechnische Gründe dahinter stecken, sondern vielleicht eher die Absicht, den Jungwölfen das Wegenetz einzuprägen.

Dank Fotofallen und intensiver Fährtenverfolgung kennen wir das Wegenetz unseres Rudeln nun ein bisschen besser.

Drei Tage später machte sich dann auch die Fotofalle an der Kreuzung bezahlt, denn das Fünfer-Rudel kam daran vorbei und folgte der Route bergauf, statt in Richtung Dorf abzubiegen.
Mit ihren nahezu acht Monaten waren die Jungwölfe inzwischen fast so hoch wie ihre Eltern, wirkten gesund und wohlgenährt. Wie die Videos oder hier die Screenshots zeigen, erdreisteten sie sich aber nach wie vor nicht, ihren Eltern vorauszueilen, sie bei geruchlichen Untersuchungen zu stören oder sich sonstwie unbeliebt zu machen. Auch blieben die drei immer dicht beieinander, wenn sie irgendwo anhalten mussten und selbst auf der Wanderung liefen sie höchstens mit ein paar Metern Abstand hintereinander.

Rechts vorn Greyston, der einige Schritte dem Abzweig Richtung Dorf folgt, links an der Böschung Luna, auf dem Weg die drei Jungwölfe.

 Luna geht voran, die Jungen halten sich wohlerzogen zurück.

Zwei folgen der Mutter, während der Dritte scheinbar schaut, was sein Vater macht.

Insgesamt frequentierte die neue Familie im Dezember sieben Mal die überwachten Routen. Droopy und Whitesocks wurden am 11. Dezember zum letzten Mal gesehen; das liegt nun einen ganzen Monat zurück, aber noch ist unklar, ob sie das Gebiet verlassen mussten oder einfach im nicht mit Fotofallen bestückten Bereich ihres Territoriums unterwegs sind.

     Angesichts der unklaren Verhältnisse im Territorium wäre es sehr aufschlussreich, die verwandtschaftlichen Beziehungen der beiden Paare zueinander sowie Blackgirls und Charlottes mögliche Abstammung von Droopy und Whitesocks zu überprüfen. Doch wie schon im vergangenen Jahr fehlt der Uni Pavia dafür angeblich das Geld.
Fürs Erste heisst es deshalb weiterhin Fotofallen, Losungsfunde und Fährten zu nutzen, um das Schicksal des Alphapaars (oder schon Ex-Alpha), der Jungtiere und ihrer Eltern zu ergründen und zu sehen, ob Charlotte und Blackgirl bei der Brunft im nächten Frühjahr  überhaupt noch hier sein werden. Schließlich hatte sich ja auch im Winter 2020/21 viel geändert: von den vier Schwarzen ist nur Droopy geblieben, ebenso sind mindestens zwei der vier Grauen vom letzten Jahr verschwunden, wobei wir nicht sicher sind, ob Charlotte 2020 tatsächlich zum Rudel gehörte, andernfalls wäre nur noch Whitesocks vom früheren Familienverband übrig.

Weiter zu: Ernährung

Text und Fotos (c) Sabine Middelhaufe, Januar 2022

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