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Norwegen
Von Sabine Middelhaufe

„Der Bestand an freilebenden Wölfen in Skandinavien geht auf nur drei Gründertiere zurück, die aus der finnisch-russischen Population stammen; zwei davon wanderten 1983 ein, ein drittes kam 1991 dazu. Die sehr kleine Population in Skandinavien gilt vor allem wegen ihrer geringen genetischen Vielfalt als gefährdet. In jüngster Vergangenheit wanderten aber mehrere Wölfe aus der finnisch-russischen Population zu, so dass sich die genetische Problematik entschärfte,“ erfährt man u.A. bei Wikipedia.
     Der größte Teil der skandinavischen Population lebt in Schweden, der Rest in Norwegen. Der Gesamtbestand wurde 2018 auf 430 Wölfe geschätzt. (Dänemark und der größte Teil Finnlands gehören ja nicht zur Skandinavischen Halbinsel.)
     Der im 20. Jh. als ausgerottet geltende Wolf erhielt 1973 Schutzstatus in Norwegen und kehrte um 1990 (nach anderen Quellen 1980) ins Land zurück, doch die ersten norwegischen Wolfswelpen wurden nicht vor 1997 geboren. 
    Im September 2016, als schätzungsweise 68 Wölfe in Norwegen lebten, erklärten die Behörden ihre Entscheidung, 47 von ihnen, also 70% der Gesamtpopulation, zum Abschuss freizugeben. Die Proteste gegen diesen Beschluss, auch auf internationaler Ebene, waren so massiv, dass die Regierung im Dezember des Jahres die Abschusszahl auf 32 reduzierte. Am Ende, so berichtete WWF-Norwegen, wurde die Entnahme für 2016 gänzlich gestrichen.      
Doch im darauffolgenden Jahr wiederholte sich die Problematik.

Foto: Reino Toivanen. Titelbild: Hahn.

    Im November 2017 las man bei UPI science news: „Pläne, den Abschuss von 50 Wölfen zu erlauben, wurden vom Bezirksgericht in Oslo unterbrochen. (...) Das Bezirksgericht unterstrich, dass dieses Verbot vorläufig sei. Norwegische Behörden hatten zuvor entschieden, dass diesen Winter 50 Wölfe geschossen werden könnten, allerdings nur außerhalb der festgelegten Schutzgebiete für Wölfe. (...) Wolfsjagden waren ursprünglich ab dem 1. Oktober erlaubt. Berichte lassen vermuten, dass bereits 5 Wölfe geschossen wurden.“
     Mitte Dezember stimmte der Umweltminister jedoch der Entnahme von nur noch 42 Tieren zu, wodurch die Jagd trotz des vorläufigen Verbots fortgesetzt werden konnte.
     Zwischen Juni 2017 und März 2018 wurden insgesamt 30 Wölfe von privaten oder staatlichen Jägern legal geschossen.
     Derweil hatte WWF-Norwegen den Staat verklagt. „Die Naturschutzorganisation argumentierte, dass das Klima- und Umweltministerium mit der Vergabe von Lizenzen für die Jagd auf Wölfe außerhalb der festgelegten Management Zonen gegen die Verfassung, das norwegische Gesetz zur Naturvielfalt und die Berner Konvention verstoßen habe,“ kommentierte thelocal.no im Mai 2018. „Obwohl das Osloer Bezirksgericht die Wolfsjagd im November vorläufig aufgehoben hatte, wies das Gericht die Klage von WWF zurück und urteilte, dass die Jagden kein Gesetz verletzt hätten.“
Im Winter 2018-2019 zählten Forscher 94 Wölfe in Norwegen (und 305 in Schweden). Zwischen Juni 2018 und circa Januar 2019 wurden 20 weitere Wölfe erlegt.

   Dass eine so geringe Wolfspopulation eine so anhaltende und hitzige Debatte zwischen Gegnern und Befürwortern von Isegrim hervorbringen kann, wird international bestaunt. Denn immerhin handelt es sich bei Norwegen um das Land der guten Beispiele: gemäß dem Index der menschlichen Entwicklung der Vereinten Nationen ist Norwegen seit vielen Jahren weltweit das am weitesten entwickelte Land. Ferner gilt es als demokratischster Staat der Welt und verfügt über eines der großzügigsten und besten Sozialsysteme der Welt. Umweltschutz wird groß geschrieben und – dank massiver staatlicher Förderung - praktiziert.  Umweltbewusst, zukunftsorientiert, wohlhabend, sozial, aber auch selbstbewusst, wenn es etwa um die Aufrechterhaltung des traditionellen Walfangs geht, denn man fühlt sich den Sitten und Gebräuchen seiner Bewohner verpflichtet und in puncto Wolf schafft offenbar gerade das Unstimmigkeiten.

Foto: Teija Viljanmaa

   The Guardian stellte schon 2016 fest, dass das eigentliche Problem der Konflikt zwischen Schafzüchtern und Naturschützern sei: „Norwegen ist ein Land mit einer umfassenden Schafzucht, die dadurch einzigartig ist, dass man die 2 Millionen Schafe den ganzen Sommer über frei herum ziehen lässt, ohne sie zu hüten, einzuzäunen oder viel zu überwachen. Als Ergebnis verliert man jährlich 120.000 Schafe und 20.000 dieser Toten gehen auf das Konto von Beutegreifern. (...) Der Wolf ist für 8% der Risse verantwortlich.“
   
 Während der langen Abwesenheit von Wölfen hatte sich die Schafzucht durch Einführung einer neuen Rasse freilich dramatisch verändert. „Dieses Schaf wird wegen seiner Größe und Fleischmenge bevorzugt, ist aber ein schlechter Kletterer mit geringem Herdentrieb und Fluchtinstinkt, ganz anders als die alte kurzschwänzige Landrasse, die als ursprüngliche norwegische Schafrasse gilt und an der Westküste überwiegt, wo es ironischerweise keine Wölfe gibt,“ schreibt The Guardian.
     Allerdings war das freie Weiden der verstreuten Schafe nicht aus Bequemlichkeit ihrer Besitzer entstanden, sondern aus der Erkenntnis, dass die Tiere auf diese Weise die spärliche Vegetation in den Bergen am effektivsten nutzen können, denn das Grasland in den tieferen Lagen wird zur Heuherstellung für die Wintermonate gebraucht.
     Die Vorstellung, künftig endlose Kilometer Elektrozaun in den Bergen aufstellen und warten zu müssen, Nachtpferche zu errichten, gar Herdenschutzhunde anzuschaffen, nur weil irgendwann irgendwer in der Hauptstadt beschlossen hat, Norwegen brauche wieder Wölfe – das muss den betroffenen Schafzüchtern wie ein schlechter Scherz erscheinen, zumal trotz aller staatlichen Unterstützung der Landwirtschaft mehr als die Hälfte der norwegischen Farmer in einem Zweitjob arbeiten müssen. Die Wolfsfans in der Großstadt, sagen viele Weidetierhalter, freuten sich von fern über die Rückkehr der Wildnis - die Last zu tragen überließen sie der Landbevölkerung.
Hinzu kommt, so the atlantic, dass man in Nordeuropoa insgesamt dem Wolf weniger tolerant begegnet als in jenen Ländern, die eine Welt ohne Wölfe gar nicht kennen.
      Aber aus Sicht von Petter Wabakken, Wolfsforscher und Lehrer an der Inland Norway University of Applied Sciences, haben die Schafzüchter die Schlacht ohnehin längst verloren. Sie werden früher oder später mit ihren Schafen entweder in die umzäunten Weiden in Wolfsmanagement Gebieten ziehen müssen, wo die Anzahl der Beutegreifer reguliert wird, oder ihre Schafe durch die weniger gefährdeten Rinder ersetzen, denn, so meint Wabakken, egal wie viele norwegische Wölfe man erschiesst, sie werden von ihren aus Schweden einwandernden Artgenossen bald ersetzt.

Foto: Elisabeth.

     Norwegen insgesamt hat nur so viele Einwohner wie St. Petersburg, nämlich 5,3 Millionen und 190.000 von ihnen sind Jäger.
Zum Vergleich: von Deutschlands 83 Millionen Einwohnern sind etwa 384.000 Jagdscheininhaber. 
    In der Ära ohne große Beutegreifer hatte sich auch in der Jagdausübung ein Wandel vollzogen. Waren die Jäger früher mit ihren  Elchhunden an der Leine losgezogen, begannen sie allmählich, sie wie Bracken auszubilden, oder tatsächlich Bracken zu benutzen, die das Wild über lange Strecken selbständig verfolgten und stellten.
     „Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Norweger der Rückkehr des Wolfs prinzipiell zustimmten, als aber die Todesopfer unter Schafen und Hunden stiegen, nahmen die Beschwerden an Tonhöhe und Lautstärke zu,“ bemerkt Michelle Nijhuis in the atlantic.
     Denn die Jagd ist in Norwegen traditionell kein elitärer Zeitvertreib für Gutbetuchte, sondern auch Mittel zum Zweck der Fleischbeschaffung.
    „Der Grund dafür ist,“ schreibt die European wilderness society, „dass während des 20. Jhs. alle großen Beutegreifer mit Ausnahme des Luchses in Norwegen verschwunden waren. Wildlebende Schalenwildpopulationen wie Reh und Elch gediehen. Um mit der wachsenden Anzahl fertig zu werden, betrieben viele ländliche Gemeinden die Jagd als Einkommensverbesserung. Entweder direkt, indem [das Wild] als Nahrung auf den Tisch kam, oder indirekt, durch den Verdienst beim Schießen der geforderten Quoten.“
   
Heute gibt es wieder eine Wolfspopulation und die Jäger empfinden deren Präsenz zum Teil als Konkurrenz, aber vor allem als Gefahr für ihre Hunde. Dabei ist es unerheblich, wie viele Jagdhunde in nüchternen Zahlen ausgedrückt von Wölfen getötet werden; der springende Punkt ist, dass die Landbevölkerung, zu der die Jäger im Wesentlichen gehören,  die Freiheit, unbeschwert in die Wälder gehen zu können, nicht aufgeben will. Diese Freiheit ist Teil ihrer Traditionen und wichtiger Aspekt ihrer Lebensqualität. Dass sich 2015, als die Behörden den Abschuss von 16 Wölfen bewilligten, 11.571 Jäger für die entsprechenden Lizenzen bewarben, war wohl vor allem Ausdruck ihrer Entschlossenheit, die Population dieses Beutegreifers klein zu halten.  
     „Die Allianz aus Politikern, Ressourcen Managern, Wissenschaftlern und Umweltschützern, die die pro-Wolf Lobby bilden,“ fährt die European wilderness society in ihrem Artikel fort, „wird so zum Gegner des natürlichen ländlichen Lebensstils. Die Städter sehen den Wolf als Teil der Natur, während er für die Landbevölkerung zu einer Idee der Städter geworden ist. Der Wolf ist zur Ikone der Urbanisierung geworden, und sie ist die größte Bedrohung ihrer ländlichen Existenz.“

Foto: Elisabeth.

Auch die NZZ meinte im Januar 2019: „Dass die Kritik an der Wolfsjagd vor allem aus urbanem und akademischem Milieu erklingt, vertieft den Graben zwischen Stadt und Land in Norwegen. Ohnehin ist der Kontrast zwischen dem Grossraum Oslo, wo über ein Viertel aller Norweger wohnt, und einer abgeschnittenen, zusehends entvölkerten Landgemeinde beträchtlich. Wenn die Landbevölkerung, wie etwa in der Wolfsfrage, sich missverstanden und nicht ernst genommen fühlt, wächst die Kluft noch mehr,“
Der norwegische Soziologe Ketil Skogen verfolgt die heimische Wolfskontroverse seit 20 Jahren und sieht das ähnlich: Seit dem 2. Weltkrieg hat in Norwegen und dem Rest der entwickelten Welt, das Wachstum der städtischen Mittelschicht, sowohl zahlenmäßig als auch hinsichtlich ihres politischen und kulturellen Einflusses, ein Minderwertigkeitsgefühl in den ländlichen Gemeinden begünstigt. Viele Landbewohner haben das Gefühl, und zwar nicht ohne Grund, dass ihr praktisches Wissen und ihre Erfahrung von mehr formal ausgebildeten städtischen „Experten“ zurückgewiesen wird und manche haben auf empfundene und reale Geringschätzung mit tiefer Skepsis auf die Wissenschaft und wissenschaftliche Autorität reagiert. Diese städtisch-ländlichen Ressentiments, stellte Skogen fest, können sogar weite Klassenunterschiede verdecken, und politische Allianzen zwischen großen Landbesitzern und Jägern aus der Arbeiterschicht und Bauern schaffen.

      Michelle Nijhuis, die Norwegen in Sachen Wolf bereiste, kommt zu einer etwas anderen Schlussfolgerung: „Für Norwegen, das vor gerade mal einem Jahrhundert seine Unabhängigkeit von Schweden erklärt hat, und das während des 2. Weltkriegs von deutschen Truppen besetzt und beinahe ausgehungert worden war, ist die inländische Nahrungsmittelproduktion eine Sache sowohl der nationalen Sicherheit als auch des nationalen Stolzes. In den vergangenen Jahrzehnten hat die Regierung keine Mühen gescheut, Bauern und ländliche Gemeinden liquide zu halten. (...) Wenn Schafzüchter also sagen, dass die Wölfe ihre Existenz bedrohen, oder wenn Jäger sagen, dass ihre Traditionen gefährdet sind, sprechen sie selten über ihr individuelles Schicksal. (...) Was die meisten im Grunde meinen, ist, dass Wölfe eine weitere Bedrohung für Norwegens hart errungene Unabhängigkeit darstellen.“
    Mancher Norweger geht in der geschichtsbezogenen Argumentation allerdings noch erheblich weiter zurück: „Vi er vikinger, ikke veikinger!“ Wir sind Wikinger, keine Weichlinge, las Nijhuis auf dem Plakat eines Wolfsbefürworters.
  Für John Linnell vom Norwegischen Institut für Naturforschung in Trondheim, sind die Prioritäten allerdings klar, erfährt man im Spiegel: „Wenn ein Wolf aggressives Verhalten zeigt, muss er schnell getötet werden. Darauf sollten alle vorbereitet sein, die das zu entscheiden haben." Die Gefahr einer Wolfsattacke auf Menschen sei zwar winzig, sagt der Wissenschaftler, "aber ein Angriff ist etwas, was keiner von uns möchte".

Foto: Reino Toivanen.

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Text (c) Juli 2019
Quellen:
https://www.theatlantic.com/science/archive/2019/04/norway-divided-over-countrys-wolves/587302/
https://www.thelocal.no/20180518/controversial-wolf-hunt-in-norway-was-legal-court-rules
https://www.wwf.no/?52405/Norwegian-wolf-culling-cancelled
https://www.theguardian.com/environment/2016/sep/23/norways-wolf-cull-pits-sheep-farmers-against-conservationists#comments
https://de.wikipedia.org/wiki/Wolf#Bestand_in_Europa
https://www.irishtimes.com/news/world/europe/over-11-000-hunters-apply-to-shoot-16-wolves-in-norway-1.2451640
https://www.nzz.ch/panorama/woelfe-in-norwegen-streit-ueber-den-abschuss-der-tiere-nzz-ld.1453901
https://wilderness-society.org/norway-killing-wolves/
https://www.wwf.at/de/menu577/
https://www.spiegel.de/spiegel/norwegen-schweden-warum-skandinavische-laender-die-jagd-auf-woelfe-erlauben-a-1196492.html

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