Wölfe - über die Situation in Deutschland und Italien
Von Sabine Middelhaufe
Wolf und Wild
Wir haben hier von Hunden gesprochen, die von Wölfen gefressen wurden, von Schafen, die sie erbeutet haben, aber all das darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die hauptsächliche Beute des Wolfs das freilebende Schalenwild ist.
Ein erwachsener Wolf, so informiert der Wildpark Eekholt, benötigt täglich 3-4 kg Fleisch; bezogen auf ein Jahr sind das ungefähr 60 Rehe oder 16 Hirsche.
Für ein fünfköpfiges Rudel in einem etwa 200 qkm großen Territorium liegt der Fleischbedarf bei 1,5 Rehen oder 0,3 Hirschen pro Hektar.
Dank einer Studie des Senckenberg Instituts scheint die Nahrungszusammensetzung der Wölfe in Deutschland genau bekannt: 52,7% Reh, 17,6% Wildschwein, 15,1 % Rothirsch, 6,3% Damhirsch, 3,5% Hasenartige, 2,4% unbestimmte Hirschartige 1,1% Nutztiere, 0,7% kleine und mittelgroße Säugetiere, 0,5% Mufflon, 0,1% Fische, Wildvögel, unbestimmte Säugetiere und Früchte
Dazu merkte die Zeitschrift Jäger 2018 allerdings an:
„Eine viel zitierte Studie soll belegen, dass Wölfe nur zu einem geringen Anteil Nutztiere reißen. In den eingesammelten Losungsproben fanden sich überwiegend Schwarz- und Rehwild als Hauptnahrungsbestandteile. Das Ergebnis muss auch gar nicht angezweifelt werden, viel mehr aber die Aussagekraft. Denn die Proben wurden zu Beginn der 2000er Jahre in Sachsen und Westpolen gesammelt, als die Wolfspopulation noch klein und dazu noch in Gebieten beheimatet war, in denen es kaum Weidehaltung gab. Würde man die gleiche Studie im Cuxhavener Land durchführen, käme man sicher zu ganz anderen Ergebnissen. Fakt ist, Wölfe nutzen die leichteste Nahrungsquelle, und sie sind sehr lernfähig im Umgehen von angewandten Herdenschutzmaßnahmen.“
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Rehschale in einer Wolfslosung.
Titelbild: Bock im Bast. Fotos: Middelhaufe
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Wie sehen die entsprechenden Daten zur Nahrungszusammensetzung der Wölfe in Italien aus?
In einer wissenschaftlichen Studie analysierte man zwischen 2008 und 2013 insgesamt 1457 Kotproben von Wölfen in Ligurien und stellte fest, dass sich die Beutegreifer zu 64,4% von Schalenwild, vor allem Wildschwein und Reh, und 26,3% von Weidevieh, insbesondere Ziegen, ernährten.
Die Nahrungszusammensetzung war nicht in allen Jahren und Jahreszeiten gleich, sah aber eine allgemeine Abnahme des Viehanteils und eine Zunahme des Schalenwildanteils. Außerdem stellte man fest, dass einzelne Wanderwölfe häufiger Vieh als Beute konsumierten als stabile Wolfsrudel. Daraus folgerte man, dass die Präsenz fester Rudel, hoher Rehwildbestände, der Anteil an Laubwald sowie Herdenschutzmaßnahmen die Verluste an Vieh reduzierten und formulierte die Empfehlung, die Ausbreitung von Schalenwild und die Etablierung von Wolfsrudeln zu fördern. |
Mehr Rehwild = weniger Nutztierrisse? Foto: Middelhaufe
Welchen Einfluss haben Wölfe auf die Schalenwildbestände? Foto: Middelhaufe
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Dem Jäger könnte der Wolf durchaus als Konkurrent erscheinen. Was mancher, etwas zu pessimistische Waidmann vielleicht für die nahe Zukunft fürchtet, und was mancher, ein bisschen zu verträumte Tierschützer hofft, ist, dass die stetig zunehmende Ausbreitung des Wolfes, langfristig gesehen, die Jagd überflüssig machen könnte. Eine Verschwörungstheorie, die, zumindest in Italien, wohl auch von der starken Anti-Jagd Bewegung befeuert wird.
In Deutschland sieht man die Sache gelassen. Jäger schreibt:
„Eine Wolfspopulation, die unsere Schalenwildbestände (abgesehen von Exoten wie dem Muffelwild) nachhaltig reduzieren könnte, müsste so groß sein, dass nicht nur Nutztierhaltung, sondern auch der Gassigang mit dem Schoßhund unmöglich werden würde. Denn Wölfe suchen sich immer die leichteste Beute – und das sind eher Fiffi und Schaf als wehrhafte Bachen.“
Anders ausgedrückt, der Wolf wird den menschlichen Jäger nicht ersetzen. Zutreffend ist jedoch, und darin stimmen die Beobachtungen der Jäger nördlich und südlich der Alpen überein, dass das Wild instinktiv alles tut, um seinem Feind Wolf auszuweichen: es schliesst sich zum Beispiel in größeren Gruppen zusammen, sucht sich neue, sichere Ruhezonen und hält sich häufiger nahe bei oder in Nutzflächen auf, was zu vermehrten Schäden in der Forst- und Landwirtschaft führen kann.
Aktuelle Untersuchungen oder zumindest Daten über diese indirekte Wirkung des Wolfs existieren in Italien nicht. Allerdings glauben viele Jäger, dass das Schwarzwild in Wolfsterritorien zunehmend offensiver auf Jagdhunde reagiert und es entsprechend häufiger zu Angriffen kommt. Nicht nur auf Bracken, die die Sauen stellen, sondern auch auf Vorstehhunde, während der Suche nach Waldschnepfen. |
Von einer Sau schwer verletzter Setter. Foto: Saverio Zappia
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Text (c) Mai 2019, zuletzt ergänzt am 8. Juli 2019
Quellen:
https://www.nrw-wolf.de/nahrung-des-wolfes/
https://www.jaegermagazin.de/jagd-aktuell/woelfe-in-deutschland/10-maerchen-zum-thema-wolf-im-faktencheck/
https://www.wolfsinfozentrum.de/nahrung-bedeutung-1.html
https://www.wolf-sachsen.de/de/wolfsmanagement-in-sn/monitoring-und-forschung/nahrungsanalyse
https://www.waldwissen.net/wald/wild/management/sbs_nahrung_wolf/sbs_nahrung_wolf_originalartikel.pdf
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Wolf und Mensch (Zuletzt ergänzt am 8. Juli 2019)
Die Zeit widmete dem Thema Wolf schon 2015 einen ausführlichen Artikel und konstatierte:
„Aufschlussreich ist, wie sich die Rhetorik deutscher Naturschützer verändert hat. Ein Wolf tut Menschen nichts. Das war lange Zeit eine unumstößliche Gewissheit. Dann hieß es: Ein Wolf ist in der Regel harmlos – vorausgesetzt, er ist gesund. Dann: Der gesunde Wolf ist in der Regel harmlos, solange er nicht hungrig ist. Dann: Der gesunde und nicht hungrige Wolf, der sich von Siedlungen fernhält, ist in der Regel harmlos. Schließlich: In absoluten Ausnahmefällen, wenn ein Wolf sich auffällig gegenüber Menschen verhält, obwohl er gesund und nicht hungrig ist, darf er vertrieben werden.“
Vor allem der letzte Satz, würde, wenn gegenüber der Bevölkerung in solchen Ländern ausgesprochen, die weit mehr Erfahrung mit dem Wolf haben, ungläubiges Kopfschütteln hervorrufen. Aber die Deutschen lieben nun mal Natur und Tiere. Die Rückkehr des großen Beutegreifers, ursprünglich einmal Raubtier genannt, und vor allem die Geburt des ersten Welpen im Jahre 2000 in Sachsen, wurde als „großartiger Erfolg für den Naturschutz“ gefeiert. Seitdem ist der Wolf auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene scheinbar zum Lieblingskind der vielen deutschen Organisationen avanciert, die dazu berufen wurden (oder sich vielleicht auch nur berufen fühlen) Wölfe laufend zu kontrollieren, schützen, zählen, analysieren, fotografieren, promoten, studieren, verteidigen und ihr positives öffentliches Image aufrecht zu erhalten. Wir haben Wolfsexperten, Wolfsforscher, Wolfsbeobachter, Wolfsbeauftragte, Wolfskompetenzzentren, Wolfsreferenten, Rissgutachter, „Wolfsversteher“ und viele andere, deren Bezeichnung man auch nicht ins Italienische übersetzen kann.
Schon vor mehr als einem Jahr zitierte die Allgemeine Zeitung den Bürgermeister einer Stadt in Sachsen-Anhalt, der die Zahl des im Wolfsmonitoring involvierten Personals mit jenem in staatlichen Kindergärten verglich, wo ein Betreuer für 12 Kinder zuständig sei, während sich in Sachsen-Anhalt allein etwa 100 Personen um die circa 60 vorhandenen Wölfe kümmerten. |
Foto: Anne Friesenborg.
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In Italien bemerkt man einen fast identischen Wandel der Rethorik. Nachdem Wolfsrudel (der reinrassigen italienischen Art) in zwei nachgewiesenen Fällen Menschen angegriffen hatten, die ihren Hund gegen die Beutegreifer verteidigten, musste WolfAlp die bisherige These „Der Wolf greift keinen Menschen an“ korrigieren. Nun heisst es: „Der Wolf greift den Menschen unter unnormalen Bedingungen an und in jedem Falle ohne ernsthafte Konsequenzen.“
Michele Corti sieht das anders: “Sowohl im Fall von Parma, als auch in dem von Turin (Giaveno) hat ein Wolf, und zwar der furchtloseste des Rudels, einen Menschen angegriffen. Es handelt sich hier um eine ganz klare Steigerung der Gefährlichkeit des Beutegreifers. Ihr geht eine Reihe von Ereignissen voraus (inzwischen sind es zahllose), in denen die Wölfe sich zunächst darauf beschränken, in Gegenwart des Menschen nicht zu fliehen, in den folgenden Vorfällen bleiben sie nicht nur stehen, sondern beginnen sich weiter anzunähern und zu knurren und die Zähne zu fletschen, wenn der Mensch eine Reaktion andeutet. Solche Episoden künden die ersten Aggressionen „ins Leere“ an (durchlöcherte Hosen und Schuhe sind nicht etwa Ausdruck der dem Wolf innewohnenden Ungefährlichkeit, sondern der Notwendigkeit, mit der Beute Mensch „Erfahrungen zu sammeln“.) Danach kommt die Aggression, die mit leichten Verletzungen einhergeht und schließlich die, die zur Tötung des menschlichen Opfers führen kann.“
An dieser Stelle lohnt der Blick in ein interessantes Dokument. Das Original trägt den Titel
CONVENTION ON THE CONSERVATION OF EUROPEAN WILDLIFE AND NATURAL HABITATS
Group of Experts on Conservation of Large Carnivores
Oslo, 22-24 June 2000
Action Plan for the conservation of the wolves (Canis lupus) in Europe
This Action Plan was funded by WWF-International with a grant from WWF-Netherlands to the Istituto di Ecologia Applicata in Rome.
Document established by Mr Luigi Boitani (Italy).
Dort liest man (hier auszugsweise) unter Punkt
4.3. Influencing European policy on wolves:
(...) Political lobbying must be linked with good promotional campaigns. This can achieve a change in public attitude and could include the use of a professional PR agency. Through a change in public perception, it becomes easier to influence the politicians, but political lobbying must be directed at state governments and EU civil servants. To add effectiveness, this lobbying must be integrated and regular in its approach. Through the provision of information to NGO’s, political lobbying can be enhanced and more widespread.
4.11. Education and information
(...) Educational campaigns have to be initiated. It will be especially important to not only try to change opinions in urban areas, but also to make efforts to educate the people in rural areas about the role of wolves (or big predators in general) in ecosystems. (...) A good educational campaign should be prepared and conducted by going through the following steps:
a. Start: At the beginning we must find a lead agency, group or person, who raises the funding for all the other necessary steps following.
b. Baseline data: We then need to identify target groups, their existing knowledge levels and attitudes, as well as assess the current educational information. Target groups could be: children, city people, local people, shepherds, hunters, elected officials, etc.
c. Evaluation: (...)
d. Design new efforts: Knowing who needs what kind of information, we now can define the goals of future educational campaigns and design new messages targeted by group.
e. Implementation: In order to have a good chance of success we then should try to identify individuals within the different target groups to deliver the messages. Here we should always keep in mind that content and vehicle need to be specific.
f. Monitoring: Attitudes and beliefs of the target groups as well as the goals of the campaign have to be reassessed in a continual process. In other words, after running an educational campaign for some time we have to go back to step “b” and start the process over again. At the end we should gain “different informed publics”. This will be one of the best and most effective way to manage and protect the wolf and other big predators as well.
4.11.1. Informing the media and asking to report in favour of the wolf
The goal is to inform the media and keep them informed about the wolf and its management. Different forms of media can be applied to deal with more complex issues. In
addition to that, a marketing plan should be developed with wolf information to keep the stream of current information going. Personal contacts with the media enable to inform them and to spread this issue in a more accurate way. It is very important to provide them with scientific information about the species and its effect on the environment as a whole. One must be aware that “honest” information will last the longest. Reference to other countries which dealt with similar problems can put forward as a representative example. But we have to bear in mind that every region asks for specific treatment and some opponents will use these differences to form ideas against any wolf management. Therefore several credible and known persons should represent the wolf case because through their knowledge and reputation, it will be a powerful tool to capture and hold the people’s support. They can be biologists, specialists or experts, but must be aware of the particularities concerning the specific area. Their communicative skills must be used in a proper way to deal with crisis situations and media tricks.
Teilweise Übersetzung des letzten Absatzes: „Die Medien informieren und sie bitten, pro-Wolf zu berichten.
(...) Außerdem sollte ein Marketingplan mit Wolfsinformationen entwickelt werden, um den gegenwärtigen Informationsfluss in Gang zu halten. (...) Deshalb sollten mehrere glaubwürdige und bekannte Persönlichkeiten die Angelegenheit Wolf vertreten, denn durch ihr Wissen und ihren Ruf wird es ein starkes Instrument sein, um die Unterstützung der Leute zu gewinnen und zu erhalten. (...) Ihre Kommunikationsfähigkeiten müssen angemessen genutzt werden, um mit Krisensituationen und Medientricks fertig zu werden.“
Das Wort „Tricks“ fällt hier ins Auge, denn als gutgläubiger Zeitgenosse fühlt man sich doch in der Tat ein bisschen ausgetrickst, wenn einem klar wird, dass die Rückkehr des Wolfs (auch) eine gigantische, wohldurchdachte PR-Kampagne war und ist, dass Fotos, die Artikel oder Websites über Wölfe zieren vielleicht nicht ganz zufällig drollige Welpen, ästhetisch ansprechende Jungwölfe und „noble“ Alttiere zeigen, die dem sensiblen Betrachter einfach Respekt, Zuneigung und einen wohligen Schauer entlocken müssen. Und sieht man sich die Umfragen an, hat die positive Berichterstattung noch immer weitgehend Erfolg. |
Wolf auf einer Landstraße in Italien: bitte recht feundlich fürs Foto. Fotos: Laura Zanocco.
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Im April 2018 wurde das Ergebnis einer repräsentativen Umfrage veröffentlicht, die Forsa für den NABU durchgeführt hatte. 2009 Bundesbürger ab 18 Jahren taten ihre Meinung kund:
79% finden es erfreulich, dass der Wolf wieder Teil der Natur in Deutschland ist.
55% assoziieren mit dem Wolf positive Gefühle,
12% Prozent haben negative Empfindungen.
78% meinen, dass Wölfe in Deutschland leben können sollen, auch falls es teilweise zu Problemen käme.
Bei der hohen Zustimmung zum Wolf gibt es keinen Unterschied zwischen Bewohnern im städtischen Umfeld und im ländlichen Raum, stellt der NABU zufrieden fest..
Allerdings endet die Umfrage damit nicht:
47% der Befragten gehen davon aus, dass die Rückkehr des Wolfes Risiken birgt.
30% hätten Angst, in einem Gebiet mit Wolfsvorkommen in den Wald zu gehen.
64% sind eindeutig dafür, einzelne Wölfe, die Probleme verursachen, notfalls auch zu töten.
Eine Meinung übrigens, von der NABU und andere Tier- und Naturschutzorganisationen nicht einmal hören wollen.
Nicht wirklich verwunderlich dürfte sein, dass junge Leute eher positiv zum Wolf in Deutschland eingestellt sind, als ältere Menschen, und dass sich die Einstellung von Interviewpartnern, die in Bundesländern mit Wolfsvorkommen leben deutlich von denen unterscheidet, die Wölfe vorwiegend aus dem Fernsehen, youtube Videos oder den social media kennen.
In der Tat sind 79% der Befragten in Sachsen einverstanden, dass Wölfe notfalls getötet werden.
61% der Umfrageteilnehmer in Niedersachsen gehen von Risiken durch die Wolfspräsenz aus.
Also, eine klare Mehrheit ist vollauf zufrieden damit, dass der Wolf durch die deutsche Landschaft trabt, aber fast die Hälfte ist sich auch der Risiken bewusst und ungefähr jeder Dritte möchte Isegrim offenbar nicht persönlich begegnen, zumindest nicht zu Fuß.
Und damit wird schon ein ganz wichtiger Aspekt der Wolfsdiskussion deutlich: viele Menschen argumentieren und werten aus der sicheren Position des Nichtbetroffenen, des Theoretikers. Man braucht nur aufmerksam die Kommentare zu Zeitungsartikeln über Wölfe zu lesen, um zu erkennen, dass da oft kindliche Naturromantik mitschwingt, persönliche Sehnsucht nach einer heilen Märchenwelt und offenbar auch viel Unzufriedenheit, denn der „noble“ Wolf wird quasi ersatzweise zum Rächer der Natur erhoben, der die böse Zivilisation bestrafen möge.
Der Wolf als Projektionsfläche für die eigene Sinnsuche.
Es ist ohne weiteres nachvollziehbar, dass jemand, der keine potenziell gefährdeten Haustiere hält, der nicht täglich mit seinem Hund spazieren gehen möchte, der keine Kinder hat, die auch mal am Dorfrand oder im Wald spielen wollen, ja, der nicht einmal in einem Wolfsgebiet lebt, von Isegrims Präsenz und Ausbreitung begeistert ist; ebenso wie derjenige, für den die zufällige Sichtung eines Wolfes ein Ausnahmeerlebnis ist, das er enthusiastisch und hundertfach übers Internet teilt. Er ist eben nicht wirklich betroffen; er ist nur Wolfsfan und wie die menschlichen, so haben auch die tierischen Idole für ihre Anhänger keinen Makel.
In den vergangenen Jahren hat sich nicht nur die Rhetorik zur möglichen Gefährlichkeit des Wolfes gewandelt, wie die Zeit feststellte, sondern auch zu anderen „unumstößlichen Gewissheiten“, die das public image des Wolfes in Deutschland stark mitgeprägt haben.
Zur Illusion vom „edlen wilden“ Beutegreifer würde es vortrefflich passen, wenn er nur zum reinen Überleben jagen und töten würde. Doch man muss gar nicht bis nach Kanada reisen, um zu sehen, dass auch der Wolf surplus killing betreibt, das sieht man auch auf norddeutschen Weiden. |
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Eine Unmenge an Videos, die Wölfe in deutschen Dörfern, auf Straßen, Bürgersteigen oder vor Gartenzäunen zeigen, sind Beweis genug, dass Isegrim nicht der menschenscheue Geselle ist, den mancher gern in ihm sehen möchte. In den meisten Fällen dürfte es sich da zwar um neugierige oder desorientierte Jungtiere handeln, die bei ihrer Erkundung der großen weiten Welt mehr versehentlich in die urbane Landschaft geraten sind und keinerlei sinistren Absichten hegen. Oder um Wölfe, die irgendjemand in falsch verstandener Tierliebe über einen längeren Zeitraum regelmäßig gefüttert und dadurch bei ihnen die Assoziation "wo Mensch, da Fressbares" geschaffen hat.
Wie dem auch sei, Wölfe bleiben nicht zwangsläufig alle brav im finsteren Walde und je mehr sie begreifen, dass der Mensch keine ernsthafte Bedrohung darstellt, desto weniger Grund haben sie, auf gelegentliche Stippvisiten zu verzichten.
Eine besonders beruhigende These für ein Volk, das über Generationen die Schrecken von Horrormärchen à la Rotkäppchen erdulden musste, ist natürlich die, dass Wölfe in Wahrheit keine Menschen fressen. Wir Zweibeiner stehen ganz gewiss nicht auf dem üblichen Speiseplan des Wolfes und die Wahrscheinlichkeit, in Deutschland zu seinem Abendessen zu werden ist derart gering, dass man sie mit Null beziffern kann.
Würde es auch so gesagt, kein Problem. Aber zu behaupten, dass Wölfe prinzipiell Menschenfleisch verschmähen stimmt einfach nicht.
Um noch einmal Jäger zu zitieren: „Beim Absturz der Germanwings Maschine in den französischen Alpen wurden nachts Gendarme zum Schutz der Überreste vor Wölfen abgestellt. In Indien werden heute noch jährlich Dutzende Kinder erbeutet, und jüngst machten ähnliche Berichte aus Israel Schlagzeilen. Auch eine englische Urlauberin in Griechenland soll Wölfen zum Opfer gefallen sein.“
Die Vermutung bezüglich der Touristin bewahrheitete sich leider.
In Frankreich hat sich der Historiker Jean Marc Moriceau von der Universität Cean ausführlich mit der Problematik von Wolfsangriffen auf Menschen in den vergangenen 250 Jahren beschäftigt, indem er und seine Mitarbeiter landesweit Archive nach entsprechenden Hinweisen durchsuchten und sagte dazu 2016 in einem Interview *) (hier auszugsweise):
„Es gibt zwei Arten von Wolfsattacken: räuberische, die hütende Frauen und Kinder attackierten und tollwütige Wölfe, die alle Menschen angriffen.(...) Insbesondere am Ende des 17. Jhs., als Charles Perrault die Geschichte „Das Rotkäppchen“ schrieb, welche erst 100 Jahre später von den Gebrüdern Grimm übernommen wurde. Dass Perrault 1695 diese Geschichte veröffentlichte, kam nicht von ungefähr. (...) man wusste, dass damals mehr als tausend, zweitausend Kinder jährlich in fünf oder sechs Regionen Frankreichs angegriffen wurden. Die Forschung zeigt in der Tat, dass man zwischen dem Ende des Mittelalters und dem Anfang des 19. Jhs. bereits Aufzeichnungen von bis zu 9000 Wolfsopfern hatte. (...) diese Opfer, verteilt auf 250 Jahre, repräsentieren tatsächlich nur die Spitze des Eisbergs. (...) Aus den Quellen erfahren wir, dass es wegen des Wolfs ebenso viele Verwundete gab wie Tote. (...)“
Frage des Interviewers Bruno Lecomte: „Besteht heute die Gefahr von Wolfsattacken auf den Menschen?“
Jean Marc Moriceau: „Sie sind nicht auszuschließen, aber sehr unwahrscheinlich in Europa, weil die Lebensbedingungen heute ganz anders sind als die Verhältnisse bis zum 19. Jh..“
Moriceaus Argumentation sollte man durchaus überdenken, denn die Unwahrscheinlichkeit von Angriffen basiert seiner Ansicht nach nicht auf dem veränderten Verhalten des Wolfs, sondern unserer modernen Lebensweise: früher wohnte und arbeitete die Mehrheit der Bevölkerung auf dem Lande und Kinder hielten sich tagsüber nicht in KiTas und Schulen auf, sondern wurden zu Tätigkeiten herangezogen, die sie mit sechs, sieben Jahren schon erfüllen konnten, vor allem das Viehhüten in den kargen Berggebieten und dichten Wäldern; ohne Pfefferspray und Smartphone, auf sich allein gestellt und mit der Last der Verantwortung für die Weidetiere, die das Überleben der Familie mit garantierten.
Deshalb kann es nicht verwundern, dass es früher in Europa und anderswo auf der Welt noch heute insbesondere Kinder waren und sind, die von Wölfen getötet und gefressen werden. In Südindien beispielsweise griff ein Wolfsrudel zwischen Oktober 1980 und März 1982 insgesamt 21 Kinder an; 9 von ihnen wurden dabei getötet. In Nordindien griff zwischen Februar und August 1981 ein Rudel 26 kleine Kinder an und tötete 13 von ihnen.
„Nun, warum werden heute mögliche Wolfsattacken auf Menschen nicht mehr in Erwägung gezogen?“ fragt sich Moriceau und antwortet. „Man sieht, dass eine gewisse Anzahl Ökologen, welche die Wiederansiedlung des Wolfes unterstützen und das verteidigen, die Verbreitung von zu vielen Informationen nicht wünschen. Sie möchten verhindern, dass die Öffentlichkeit beunruhigt wird, um die Wiederansiedlung des Wolfes nicht zu gefährden. Das führt dazu, dass sich ein Gesetz des Schweigens etabliert, um gewisse Informationen zu verneinen und sie zu vernebeln. Und das beengt die Historiker, die die Freiheit wollen, die Wahrheit herauszufinden und sie mitzuteilen ohne zu übertreiben. Also, es geht nicht darum, für die aktuelle Zeitperiode lauthals zu verkünden, der Wolf sei ein gefährliches Tier. Ich will nur sagen, dass unter bestimmten Bedingungen Wolfsattacken auf Menschen nicht ausgeschlossen sind.“
*) Das vollständige Interview finden Sie auf youtube unter dem Titel: „Die schwerwiegenden Folgen der Wiederkehr des Wolfes in Frankreich“, von Bruno Lecomte. |
Rückzug in die Wiese. Fotos: Laura Zanocco
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Übrigens haben die Historiker Mario Comincini, Luigi Cagnolaro, Adriano Martinoli und Aldo Oriani in den 1980er Jahren ebenfalls nach dokumentierten Fällen von Wolfsangriffen auf Menschen in den italienischen Archiven geforscht und eine beachtliche (aber sicher nicht vollständige) Liste von 440 Attacken zusammengetragen, die sich im 15. bis 19. Jh. in Norditalien ereigneten.
Für 202 von ihnen fanden sie genauere Angaben. Demnach handelte sich bei den Opfern um 2 Jungen im Säuglingsalter, 6 Jungen und 1 Mädchen zwischen 3 und 5 Jahren, 27 Jungen und 14 Mädchen von 6-10 Jahren, 46 männliche und 11 weibliche Kinder, deren Alter aus den Dokumenten nicht ersichtlich war, 22 Jungen und 14 Mädchen zwischen 11 und 15 Jahren, 2 Teenager zwischen 16 und 20 Jahren, 3 Männer und 2 Frauen zwischen 21 und 40 Jahren, 12 Männer und 40 Frauen ohne genaue Altersangabe.
Für 119 der insgesamt 440 untersuchten Fälle fanden die Historiker auch heraus, dass sich die Wolfsangriffe auf den Weiden 57 mal gegen Kinder und nur 9 mal gegen Erwachsene richteten. Das Gegenteil war in Hausnähe festzustellen, hier wurden 38 Erwachsene und „nur“ 15 Kinder attackiert. Interessanterweise gingen solche Konfrontationen in der unmittelbaren Umgebung von Ansiedlungen hauptsächlich von tollwütigen Wölfen aus, denen sich entsprechend häufiger erwachsene Familienmitglieder entgegenstellten.
Nicht minder aufschlussreich ist die Erkenntnis, wann die Wölfe angriffen. Bezogen auf insgesamt 377 Vorfälle, ergab sich diese Verteilung über das Jahr: Januar 17 Attacken, Februar 22, März 18, April 27, Mai 24, Juni 69, Juli 99, August 31, September 17, Oktober 14, November 28, Dezember 11; für 63 weitere Ereignisse fehlte das Datum.
Dass sich 45% der gegen Menschen gerichteten Aggressionen im Juni und Juli ereigneten erklären die Forscher mit der Notwendigkeit für die Wölfe, möglichst viel proteinreiche Nahrung für die Welpen heranzuschaffen. Außerdem wurde zu Sommerbeginn das Vieh auf die Weiden getrieben, eine leichte Beute, sofern man nur den Hirten umgehen oder ausschalten konnte.
Mario Comincini und seine Kollegen entdeckten in den behördlichen Dokumenten auch noch einige grausige Details. Dieser Teil ihrer Untersuchung beschränkt sich auf die Zeit von 1801 bis 1825 und bezieht sich auf 67 Todesfälle durch Wolfsangriffe in der Poebene. Nur einer davon ging gesichert auf einen tollwütigen Wolf zurück; in zwei weiteren Fällen wurde Tollwut vermutet konnte aber nicht nachgewiesen werden. In aller Regel war der Wolf jedoch auf Nahrungssuche und packte sein Opfer am Hals oder Kopf, um es dann wegzuschleifen. Wurde er dabei nicht von anderen Personen unterbrochen, schleppte er seine, oft noch lebende Beute davon. Doch konnte eine sofortige Intervention eben bewirken, dass der Wolf sein Opfer aufgab und dieses, durchaus nicht immer schwer verletzt, gerettet wurde. In anderen Situationen aber führten die Verletzungen rasch zum Tod und menschliches Eingreifen konnte einzig verhindern, dass das Opfer weggetragen und gefressen wurde.
Tödliche Angriffe und solche, die durch Menschen beendet wurden, die das Opfer verteidigten, ereigneten sich ausnahmslos immer auf den Weiden und in der Zeit zwischen Ende Mai bis Ende September.
Bei mindestens 58 der 67 Todesopfer handelte es sich um Kinder oder Jugendliche; 33 von ihnen waren männlich, 13 weiblich, für die Verbleibenden gab es keine entsprechenden Angaben. Den schriftlichen Aufzeichnungen nach war etwa die Hälfte der 58 jungen Menschen zerfleischt oder aufgefressen worden. 1812 wurde auch ein erwachsener Mann zerrissen; 1807 bzw. 1815 zwei Teenager. Sofern man die Reste der weggeschleppten Opfer noch rechtzeitig fand, stellten die damaligen „Rechtsmediziner“ bisweilen fest, dass nur die inneren Organe gefressen worden waren. Seltener wurden nur noch Schädel und Gliedmaßen der Opfer entdeckt.
Die italienischen Autoren formulieren folgende Überlegung: „Der Mensch steht außerhalb des normalen Beuteschemas des Wolfes: es zeigt sich in der Tat, dass das Beuteverhalten im Allgemeinen nur auf das Vieh bezogen ist, aber der Angriff auf diese Nutztiere wie nebenher mit dem Angriff auf den Menschen enden kann. Wann immer das Zufallsopfer der Attacke ein Kind ist, macht der Beutegreifer damit eine befriedigende Erfahrung, die künftig ein auf Kinder gerichtetes Beuteverhalten hervorbringen kann. Außerdem ist die Beute Kind geeignet, sie anderswo hin zu ziehen und sie reicht für den Nahrungsbedarf einer kleinen Familiengruppe aus. Wenn der zum Anthropophagen [Menschenfresser] gewordene Wolf nicht schnellstens eliminiert wird, kann er dieses neue Beuteverhalten schnell kulturell an die anderen Gruppenmitglieder weitergeben. Es wurde nachgewiesen, dass alle erwachsenen Mitglieder des südindischen Wolfsrudels, das für Angriffe auf Kinder verantwortlich war, Anthropophage waren. Innerhalb einer Gruppe kann sich das Menschenfresser Verhalten mit der Ausarbeitung besonderer Taktiken des Beutemachens in Bezug auf Kindern weiterentwickeln.“
Wie Mouriceau belegen Comincini und seine Co-Autoren, dass der Wolf in Europa bis ins 19. Jh. hinein ein gefürchtetes, weil für den Menschen gefährliches Tier war, das man nicht aus purer Jagdlust dezimierte, sondern aus berechtigter Angst. Weder der französische, noch die italienischen Forscher plädieren deshalb für die neuerliche Ausrottung von Canis lupus, aber sie weisen mit wissenschaftlichen Mitteln nach, dass man ihm mit Vorsicht, Weitblick und Verstand begegnen muss.
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Kann der Spaziergang in der Natur heutzutage gefährlich werden? Foto: Wecker
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Valerius Geist, emeritierter Professor der kanadischen Universität von Calgary, schrieb 2007 im Rahmen seines Essays „Wann werden Wölfe für den Menschen gefährlich?“ etwas ähnliches:
„(...) Ich wurde von Kentons Eltern gebeten, mich der Sache anzunehmen, da ein recht eindeutiger Fall von Wolfsfraß durch öffentliche Behauptungen, dass nicht Wölfe, sondern ein Schwarzbär verantwortlich sei, verschleiert wurde. [Anm.: der 22 jährige Kenton Carnegie wurde Ende 2005 von Wölfen verfolgt, umringt und später tot aufgefunden. Das Gericht schloß 2007, dass Wölfe ihn getötet hatten.] Das Motiv scheint gewesen zu sein, in den Medien den Mythos vom harmlosen Wolf, vom Beutegreifer, der keine Leute angreift, aufrecht zu erhalten. (...) Es ist ein tödlicher Mythos, der weder von aktuellen noch historischen Informationen unterstützt wird. (...) Wölfe können unter entsprechenden Umständen für Menschen außerordentlich gefährlich werden und die Geschichte von Rotkäppchen beruhte – leider! - nicht auf Mythen oder Aberglauben, sondern auf stichhaltigen Beweisen! Der Unfähigkeit von Forschern, sich mit historischer Wissenschaft auseinanderzusetzen, ist hier teilweise die Schuld zu geben.“ (...) „Die politisch korrekte Ansicht über den Wolf, die gegenwärtig vehement und dogmatisch verteidigt wird, ist die, dass Wölfe „harmlos“ und keine Gefahr für den Menschen sind. (...) Es ist noch ironischer, dass während Wolfsbiologen die Gefahr durch Wölfe strikt leugneten und es versäumten, ein Verständnis für die Umstände zu entwickeln, in denen Wölfe harmlos oder gefährlich sein können, ihre Kollegen, die Koyoten in städtischen Gebieten studierten, genau das taten. Sie beschrieben die Progression von Verhaltensweisen, die vorhersagt, wann Koyoten Kinder anfallen würden. Wölfe folgen einer ganz ähnlichen Progression. Sie kann in sieben Schritte unterteilt werden, die ein zunehmendes Risiko für Menschen bedeuten und in Angriffen auf Menschen gipfelt.“
Prof. Geist, der Wölfe in Kanada jahrelang hautnah erlebte und studieren konnte, erklärt sehr genau, anhand welcher Verhaltensweisen man die zunehmende Gefährlichkeit von Wölfen erkennt. Michele Corti von der Mailänder Universität hat diese Stadien tabelliert und auf Italien angewendet. |
Stadium |
Beschreibung |
in Italien |
1 |
Innerhalb des von Wolfsrudeln bewohnten Territoriums wird die Beute knapper, sei es wegen der intensiven Bejagung durch die Wölfe selbst, sei es durch massenhafte Abwanderung der Beutetiere aus dem Gebiet. Als Alternative besuchen die Wölfe nachts immer häufiger die Mülldeponien.
[Anm.: es ist auf dem Lande immer noch üblich, Nahrungsreste in Hausnähe offen zu entsorgen; Nutznießer sind Hühner, Katzen, Hunde, aber auch Füchse, Marder, Stachelschweine, Vögel und ggf. Wölfe.]
|
bereits überschritten |
2 |
Auf Nahrungssuche nähern sich die Wölfe den Häusern, aber zunächst nur nachts. Die Hunde bellen. Die Herdenschutzhunde stellen Kontakt zu den Wölfen her, indem sie ununterbrochen bellen.
Die Wölfe heulen nun auch tagsüber. |
bereits überschritten |
3 |
Die Wölfe lassen sich auch am Tage sehen und beobachten aus einer gewissen Entfernung die Menschen bei ihren Tätigkeiten.
Sie nähern sich tagsüber den Häusern. |
bereits überschritten |
4 |
Kleine Haustiere werden auch tagsüber in der Nähe von Wohnhäusern gerissen. Hunde sind die bevorzugten Opfer und werden bis an die Veranda des Hauses verfolgt. Menschen müssen sie dann gegen einen oder mehrere Wölfe verteidigen, doch Letztere sind nicht auf die Person konzentriert, sondern greifen entschlossen die Hunde an, auch wenn sie versuchen, durch Zähneblecken und Knurren den Menschen zu erschrecken, der die Hunde verteidigt oder sich der Leiche des von den Wölfen getöteten Tiers nähert.
Gleichwohl sind die Angriffe noch nicht so energisch und oft gelingt es den Personen, die Hunde zu retten.
In dieser Phase versuchen die Wölfe, ihr Territorium festzulegen. |
bereits überschritten |
5 |
Wölfe beginnen, große Tiere zu „kosten“, indem sie sie am Schwanz und an den Sprunggelenken packen. Es stellen sich die ersten schweren Verletzungen von Rindern ein, die eingeschläfert werden müssen. Dann treten die ersten Tötungen von Rindern und Pferden in Hausnähe und in den Unterständen auf, in die sie sich geflüchtet haben. Die Wölfe verfolgen die Tiere bis in die überdachten Vorbauten und kreisen sie ein, außerdem beginnen sie, durch die Fenster ins Haus zu schauen. |
(großteils)
erreicht |
6 |
Der Wolf lenkt seine Aufmerksamkeit auf den Menschen, indem er ihn zunächst minutenlang aus der Nähe beobachtet. Von diesem Moment an hat der Wolf sein Territorium festgelegt und der Mensch ist zur Beute geworden. Anfangs sind die Wölfe unsicher und die Angriffe verlaufen fast als Spiel: es wird nach der Kleidung geschnappt, an ihr gerissen und leicht in Gliedmaßen und Oberkörper gebissen. Wenn man ihnen entgegentritt, entfernen sich die Wölfe. Sie verteidigen jedoch ihre Beute entschlossen gegen den Menschen, indem sie ihm knurrend bis auf 10 Meter entgegen gehen. |
(teilweise)
erreicht |
7 |
Die Wölfe attackieren Menschen. Zunächst sind diese Angriffe ungeschickt, weil sie noch nicht wissen, wie sie die neue Beute angehen müssen. Deshalb gelingt es den Opfern noch häufig, zu fliehen.
Dann aber klappen die Angriffe und Menschen können dabei getötet werden. |
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Corti sieht die Gefahr in Italien also zwischen der Stufe 5 und 6, da es in den letzten Jahren bereits leichte Angriffe auf Menschen gegeben hat.
Valerius Geists Untersuchungen stellten auch fest, welche Umstände dem Eintreten von Wolfsattacken auf Menschen vorausgehen. Michele Corti hat diese wiederum auf Italien angewendet:
Die Wolfspopulation ist groß. |
Ja |
Der Wolf ist rechtlich und faktisch geschützt |
Jain |
Es liegt eine Verringerung von wilden Beutetieren in Quantität und Vielfalt vor. * |
Nein |
Wölfe haben die Möglichkeit, sich bequem von Küchenabfällen, Essensresten auf Müllhalden zu ernähren oder können ohne Schwierigkeiten Nutztiere und Haustiere erbeuten. |
Ja |
Die Haustierpopulation ist klein und nicht dicht. ** |
Jain |
Die „Experten“ behaupten, der Wolf sei harmlos und gaukeln der Bevölkerung die Ungefährlichkeit des Wolfes vor. |
Ja |
Wölfe nähern sich Wohnhäusern, ohne dass es für sie Konsequenzen hätte, sie nähern sich Menschen, die ihren Freizeitaktivitäten nachgehen und können Haustiere töten, ohne dass ihnen selbst dabei etwas passiert. |
Ja |
Die Wölfe werden nicht abgeschreckt, Menschen anzugreifen, sondern nur zeitweilig verscheucht, und ihre Opfer werden kritisiert und beschuldigt, sich falsch verhalten zu haben, während das „unnormale“ Verhalten des Wolfes mit irgendeiner „wissenschaftlichen“ Erklärung entschuldigt wird. |
Ja |
Die vom Wolf angegriffenen Personen flüchten, schauen woanders hin, wenden dem Wolf den Rücken zu, zeigen Angst, Unsicherheit und Unbehagen. *** |
Nein |
* Allgemein trifft dies nicht zu, aber auf lokaler Ebene haben die Wolfsrudel die Schalenwildpopulationen reduziert.
** Auch in diesem Falle gibt es starke lokale Unterschiede.
*** Bisher wurden „ausgewählte“ Personen angegriffen (Jäger, Schäfer), die in den Bergen tätig sind und eigentlich gut dafür ausgestattet sind, sich zu wehren.
Michele Cortis Schlussfolgerung: „Die Bewertung der Vorfälle, in der die Verantwortung für die Aggression gegenüber Menschen, die ihre Tiere verteidigten, gesichert bei reinrassigen Wölfen der italienischen Population liegt, und die Überprüfung der Vorbedingungen für die potenzielle Gefährlichkeit des Wolfes für den Menschen gemäß dem Muster von Prof. Geist, führen zwingend zum dem Schluss, dass (in den nächsten Jahren) das Risiko von Wolfsangriffen auf Personen bevorsteht.“
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Für Jäger, Spaziergänger und spielende Kinder könnte der Ausflug in die Berge und
Wälder in Wolfsgebieten mit den Jahren risikoreicher werden. Fotos: Middelhaufe
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Diese Möglichkeit scheint die „Lupologen“ in den noch (fast) wolfsfreien Ländern nicht zu schrecken. So las man am 9. April 2019 bei BBC news: „Gelegentliche Wolfssichtungen gab es in den Niederlanden seit 2015. Aber zunächst nahm man an, dass diese Tiere nur zeitweilig aus Deutschland herüber gekommen waren und später wieder dorthin zurückkehren würden. Ökologen der Aktionsgruppen FreeNature und Wolven in Nederland haben zwei Weibchen in der Veluwe verfolgt, Wolfsspuren und Losung gesammelt, anhand derer sie die DNA feststellen können. (...) ihre Daten bestätigen nun, dass eine der Wölfinnen sechs Monate lang kontinuierlich dort geblieben ist und jetzt als „sesshaft“ betrachtet werden kann. Ein Wolfsrüde wurde ebenfalls in dem Gebiet gesehen und das erste holländische Wolfsrudel könnte nur Monate entfernt sein. Für die zweite Wölfin werden noch Daten gesammelt. (...)
In Holland hat Wolven in Nederland seit 2008 daran gearbeitet, die holländische Bevölkerung auf genau diesen Moment vorzubereiten – die Rückkehr der Wölfe in ihr Land. Der Ökologe Roeland Vermeulen sagt, sesshafte Wölfe fressen wahrscheinlicher Rehe und Wildschweine. Schafe, auf der anderen Seite, sind „wie junk food“, das von Wanderwölfen oder solchen angenommen wird, die noch weniger jagderfahren sind. Vermeulen meint, dass die Niederlande Raum für 22 Rudel, jedes mit 5-8 Wölfen, haben.“
Der Direktor des Hoge Veluwe Nationalparks, in dem Mufflons die Vegetation in Schach halten und bei den Besuchern sehr beliebt sind, teilt diese Auffassung nicht. Bereits Mitte Januar 2019 berichtete DutchNews.nl: „(...) Er sagte ferner, dass einige der Wölfe von Menschen ausgewildert wurden. „Sie verhalten sich auf eine Art und Weise, die nicht natürlich ist. Man hat hier gesehen, wie sie Radwege und Straßen entlang gingen. Ich habe Naturparks in Italien und Polen besucht und Menschen, die dort leben, haben noch nie im Leben einen Wolf gesehen. Wölfe greifen keine Menschen an, aber wenn sie ihre natürliche Scheu verlieren, könnten sie gefährlich werden. (...) Der Direktor des Nationalparks meint, die Theorie, die von Wolven in Nederland unterstützt wird, dass Wölfe, die anfänglich Schafe angegriffen haben später von Wildtieren leben würden, sei „völliger Unsinn“. „Wenn der Wolf einmal Schaffleisch gekostet hat, wird er nicht mehr hinter einem Reh her rennen. Abgrasen durch Schafe würde nicht mehr möglich sein, wenn Wölfe in dem Gebiet sind, und sie werden sich nicht von Zäunen aufhalten lassen. (...) Wir leben in einem Land mit 17 Millionen Einwohnern, nicht in der Serengeti.“ |
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Auch in Schweden ist man sich der Gefahr durch den Wolf bewusst und scheut im Bedarfsfalle nicht vor drastischen Mitteln zurück: nachdem die Wölfe im Nationalpark Kolmarden vor einigen Jahren einen Mitarbeiter des Parks attackiert und getötet hatten, beschloss die Leitung im November 2018 endgültig, die Wölfe human zu töten und nicht mehr zu ersetzen.
In Deutschland ist die legale Tötung von Wölfen ein äußerst kontroverses Thema. Bis heute wurden lediglich fünf Wolf-Hund-Mischlingswelpen, der an Räude erkrankte Wolf, der im Landkreis Görlitz einen Hund gerissen hatte und ein weiterer Wolfsrüde getötet.
Über Letzteren berichtete der NDR: „Erstmals hatte das Niedersächsische Umweltministerium im Jahr 2016 einen Wolf töten lassen. "MT6", genannt "Kurti", hatte sich immer wieder Menschen genähert und wurde schließlich vom damaligen Minister Stefan Wenzel (Grüne) zum Abschuss freigegeben.“
Gegenwärtig macht der Rodewalder Wolf von sich reden. Nach zahlreichen Rissen wurde der Rüde Ende Januar zwar zum Abschuss freigegeben, doch bisher nicht gefunden. „Laut Niedersachsens Umweltminister Olaf Lies (SPD) erschweren mehrere Gründe die Suche nach dem Rodewalder Rüden mit der Kennung "GW717m". Das größte Problem sei das bis zu 600 Quadratkilometer große Streifgebiet des Rudels. (...) Hinzu komme, dass die Suche durch "Störer" behindert werde. In Waldgebieten im Landkreis Nienburg waren zuletzt immer wieder Aktivisten unterwegs, um den Leitwolf aufzuscheuchen und so vor einem Abschuss zu schützen,“ schreibt der NDR in seinen online Nachrichten vom 3. Mai 2019. „Zudem mangele es in diesem Gebiet, das aus über 170 Jagdrevieren besteht, an Unterstützung: "Alle haben die Sorge, sich in irgendeiner Form öffentlichen Beleidigungen oder sonstigen Dingen ausgesetzt sehen", sagte Lies. Er will dies ändern - und erwägt dazu rechtliche Mittel. "Wir brauchen eine Grundlage dafür, dass uns die Revierinhaber, die Jagdpächter, die Jäger vor Ort als Partner zur Verfügung stehen", sagte er. Das Ministerium werde deshalb prüfen, "inwieweit wir rechtliche Möglichkeiten haben, die Jäger in diese Rolle zu versetzen". Eine Option wäre demnach, den Wolf - als streng geschütztes Tier - ins Jagdrecht aufzunehmen. Dann könnte ein problematisches Tier unter Aussetzung der Schonzeit von den örtlichen Jägern getötet werden.
Wer zurzeit konkret nach dem Rodewalder Wolf sucht und ihn gegebenenfalls abschießen darf, wird nicht öffentlich gemacht. "Dazu äußern wir uns nicht, um die Betroffenen zu schützen", sagte eine Ministeriumssprecherin.“
Es klingt wie ein schlechter Scherz, aber auch Nutztierhalter müssen geschützt werden, denn erst wenn sie mehrfach Risse zur Anzeige bringen, kann das Umweltministerium den Abschuss eines tatverdächtigen Wolfes genehmigen. „Doch einen solchen Antrag stellen die Landwirte nur ungern,“ schreibt Gunnar Schupelius in der Berliner Zeitung. „Denn wenn ihr Begehren bekannt wird, bekommen sie nicht selten Morddrohungen von radikalen Tierrechtlern oder die Ankündigung, dass man ihre Scheune niederbrennt. Erst am Mittwoch erzählte mir ein Bauer aus Brandenburg, dass zum wiederholten Male die Kriminalpolizei auf seinem Hof erschien, weil er als „Wolfsfeind“ ernsthaft bedroht wurde.
In Pinneberg (Schleswig-Holstein) musste ein Schäfer seinen Antrag auf Abschuss eines gefährlichen Wolfes anonym stellen, weil er gefährdet ist. Das berichtete der Norddeutsche Rundfunk (NDR). Das Ministerium sichert dem Jäger, der mit dem Abschuss betraut wird, ebenfalls Anonymität zu, damit er nicht in Gefahr gerät. “
Text (c) Mai 2019, zuletzt ergänzt am 8. Juli 2019
Quellen:
https://www.jawina.de/tag/wolfsangriff/
https://www.welt.de/politik/deutschland/article146073348/Warum-unser-Umgang-mit-Woelfen-extrem-gefaehrlich-ist.html
https://www.az-online.de/altmark/arneburg-goldbeck/personaleinsatz-wolf-bringt-buergermeister-rage-9405243.html
https://www.presseportal.de/pm/6347/3928649
https://www.rbb-online.de/woelfe/uebernahmen-beitraege/umfrage-zum-wolf.html
https://www.jaegermagazin.de/jagd-aktuell/woelfe-in-deutschland/woelfe-toeten-britische-professorin/
http://www.celler-kurier.de/celle/oeffentlichkeit-wird-von-wolfs-lobby-mit-falschen-daten-versorgt-50792
https://www.wolf-center.eu/de/informationen/w%C3%B6lfe-Angriffe-fakten-oder-fikt
https://www.repubblica.it/esteri/2018/11/04/news/svezia_sono_pericolosi_e_a_rischio_di_sconfinamento_il_parco_di_kolmarden_uccide_i_lupi-210744614/
http://canespastorales.it/il-luparo-una-figura-della-nostra-tradizione-appenniica-graziano-barberini/
http://www.ansa.it/sito/notizie/cronaca/2019/01/26/aggredito-da-due-lupi-in-maremma-ferito_22adb808-4bfb-4ea1-bda2-e7d51a404916.html
http://www.ruralpini.it/Lupo_Si_incrina_il_fronte_conservazionista.html
http://www.vargfakta.se/wp-content/uploads/2012/05/Geist-when-do-wolves-become-dangerous-to-humans-pt-1.pdf
http://www.storiadellafauna.it/scaffale/testi/cagnolaro/antropofagia.htm
https://www.nzz.ch/schweiz/haben-woelfe-ihre-scheu-erst-einmal-verloren-ist-es-schwierig-ihnen-diese-wieder-anzugewoehnen-ld.1391778
https://www.presseportal.de/pm/6347/3928649
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Der Wolf macht Politik
Im März letzten Jahres wurde in Winsen an der Aller die erste Bürgerinitiative mit dem Motto „Wolfsfreie Dörfer“ gegründet, es gab und gibt Kundgebungen gegen eine unkontrollierte Ausbreitung des Wolfes, Demonstrationen vor dem Sitz der Landesregierung, Informationskampagnen und ähnliche Aktivitäten.
Ziel all dessen ist nicht die gnadenlose Vertreibung des Wolfes oder eine absolute Ablehung, den Beutegreifer in Deutschland zu akzeptieren.
Was Gründer und Mitglieder solcher Initiativen erreichen möchten, ist vielmehr ein realitätsorientiertes Wolfsmanagement, das auch für Viehzüchter, private Halter von ein paar Ziegen, Schafen oder Pferden und Dorfbewohner akzeptabel ist, die es leid sind, am hellichten Tag Wölfe durch ihre Straßen spazieren zu sehen.
Frage an Anne Friesenborg, Mitgründerin der ersten Bürgerinitiative: Können Sie einmal kurz erzählen, warum und wie es zur Gründung Ihrer Bürgerinitiative gekommen ist?
Anne Friesenborg: "Hintergrund sind die zunehmenden Wolfssichtungen am Tage und Nahbegegnungen mit dem Wolf in unseren Dörfern. Die Bewegungsfreiheit und das Freizeitverhalten in unserem Lebensraum wird uns zunehmend durch die unkontrollierte Ausbreitung der Wölfe genommen. |
In einer Gemeinschaft werden wir eher wahrgenommen und es ist wesentlich einfacher die Standpunkte zu vertreten. In Berlin in einer Fraktionssitzung der CDU durften wir in einer Expertenrunde die Situation auf dem Lande schildern. Es war wichtig, auch den menschlichen Aspekt mit all seinen Ängsten und Sorgen darzustellen."
Gibt es inzwischen ähnliche Initiativen auch anderswo in Deutschland?
Anne Friesenborg: "Nach unserem Vorbild gibt es mittlerweile zwei weitere Bürgerinitiativen in Schleswig-Holstein. Es sind weitere in Planung in Sachsen und Niedersachsen."
Es ist eine Sache, Wölfe im Fernsehen, auf youtube und hübschen Fotos zu sehen, eine ganz andere, ihn vor der eigenen Gartenpforte zu wissen. Warum, glauben Sie, ist es für nicht betroffene Menschen so schwer zu begreifen, dass die Lebensqualität erheblich leiden kann, wenn man zum Beispiel beim Waldspaziergang eben doch immer mal wieder instinktiv über die Schulter schaut, vor allem wenn man mit Kind und Hund unterwegs ist?
Anne Friesenborg: "In der Stadt im dritten Stock mit Balkon lässt sich das auch schwer begreifen. Wie das Wort schon sagt, hat es was mit ‚greifen‘ zu tun. Man muss schon mal die sich aufstellenden Nackenhaare gespürt haben, wenn man den Grauen gegenüber steht. Oder auch nur das stocksteife Verharren der Hunde, das Aufstellen der Bürste und das tiefe Knurren, um dann Frauchen oder Herrchen wieder rückwärts zu ziehen. Wenn man beginnt, in der dunklen Jahreszeit nur noch unter voller Beleuchtung des Gartens zur Mülltonne vorne an der Straße zu gehen und den Hund nur noch unter Aufsicht im Garten lässt. Wenn die Kinder nicht mehr alleine mit dem Fahrrad durch die Feldmark zum Schulbus fahren oder am Dorfrand unbeschwert spielen dürfen. Wenn die Joggingrunden durch die Natur ins Fitnessstudio verlegt werden und die Hunderunden nur nach genauer Überlegung wohin und mit Abwehrspray gelaufen werden. Dann hat man es begriffen, wie es sich anfühlt und wie die eigene Lebensqualität leidet." |
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Dass Weidetiere von Wölfen getötet werden ist hinlänglich bewiesen. In den Medien spricht man dann gern von “Schäden”, was ein bisschen so klingt, als berichte man von einer Beule im Kotflügel, nicht dem Tod eines Tieres. Dabei dürfte es für den Besitzer von Schaf, Ziege oder Pferd, vor allem wenn er die Haltung nur im kleinen Rahmen oder gar als Hobby betreibt, ein echter, persönlicher Verlust sein, schließlich kennt er ja jedes einzelne Tier. Wie empfinden die Betroffenen diesen Mangel an Verständnis und Empathie?
Anne Friesenborg: "Unerträglich, da diese Schäden mit Entschädigungen ausgeglichen werden - zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung. Die Realität schaut ganz anders aus. In den meisten Fällen wird gar nicht vermittelt, wie viele Tiere Opfer der Übergriffe sind. Nicht selten versterben auch die verletzten Tiere an der schweren Sepsis. Lämmer, die ihre Mütter verloren haben können nicht mehr an das Trinken aus Trinkautomaten gewöhnt werden, Schafe verlammen oder resorbieren in der Trächtigkeit, die Herden sind nicht mehr händelbar. Man spricht auch von Stressschäden wenn die Tiere nicht mehr aufnehmen und den gewünschten Nachwuchs bringen. Die dann so oft beschworenen Herdenschutzhunde können schwerlich in eine caniden-geschädigte Herde eingesetzt werden. Oft ist die Haltung von diesen Hunderassen gar nicht möglich oder gar verboten. So wie z.B. an den Deichen oder in der Hüteschafhaltung beim aktiven Hüten in der Heide usw. Aus Wolfsländern, wie Serbien und Bulgarien weiß man, dass die Zahl der Hunde immer der Anzahl der Rudelmitglieder des ansässigen Rudels entsprechen soll, damit auch die Hunde gegenüber einem Rudel eine Chance haben. Zudem: wieviele Hunde soll dann ein Schäfer mit über 1000 Schafen in Koppelschafhaltung in 20 einzelnen Herden, die zudem weit auseinander liegen, halten? Das ist doch gar nicht möglich. Die emotionale Belastung der Tierhalterfamilien wird komplett außer acht gelassen. Zudem bewegen sich die Wölfe ja nicht in einer Natur-, sondern in einer Kulturlandschaft. Deutschland ist eng besiedelt und nur wenige Regionen haben Truppenübungsplätze (TÜP) oder offen gelassene Tagebaulandschaften, wie in der Lausitz. Je ausgeprägter die Tierhaltung in einer Landschaft ist - so wie z.B im gesamten Norddeutschland - desto deutlicher werden die Konflikte. Die Sichtungen am Tage nehmen zu, die Wölfe werden in den Dörfern und auf den Höfen gesehen. Die Tiere werden auch direkt an den Häusern gerissen, die Wölfe gehen in die Ställe. Im Norden Deutschlands gibt es viel Offenstallhaltungen und sog. Kaltställe für Rinder und Milchvieh. Dies bedeutet, dass alles offen ist und die Tiere sich innerhalb und zum Teil direkt um die Stallungen frei bewegen können. All dies im Sinne des Tierwohls und der Tiergesundheit. Daher ist der Mangel an Verständnis und Emphatie kaum nachvollziehbar. Der Wohlstand macht uns satt - auch an Emotionen für andere. Die Supermärkte sind gut bestückt und man kann an 6 Tagen in der Woche für mindestens 12 Stunden einkaufen. Woher die Ware kommt wird von den wenigsten hinterfragt. Und für artgerechte Tierhaltung gibt man ungern ein paar Cent mehr aus. Aber gerade die artgerechte Weidetierhaltung ist betroffen. Genau jene Tierhaltung, die die Gesellschaft lautstark fordert." |