Wölfe - über die Situation in Deutschland und Italien
Von Sabine Middelhaufe
Wolf und Weidetiere
Im August 2017 informierte die Neue Osnabrücker Zeitung:
„Seit der Rückkehr des Wolfes nach Deutschland im Jahr 2000 hat das Raubtier mehr als 3500 Nutztiere getötet.“
Doch was die Weidetierzüchter schon damals fast noch mehr beunruhigte als die Gesamtzahl der Wolfsrisse, war ihre Zunahme im Verhältnis zur Wachstumsrate der Wolfspopulation. 2016 gab es 47 verifizierte Rudel, 2017 bereits 60 und für 2018 wurden offiziell 73 bestätigt.
Und tatsächlich sprach man schon im April 2018 von einem deutlichen Anstieg tödlich verlaufener Attacken auf Weidetiere in Norddeutschland: wurden 2016 in Niedersachsen 178 Weidetiere getötet, waren es 2017 bereits 403; Mecklenburg-Vorpommern gab für 2017 66 Fälle an, im Vorjahr waren es noch 48; auch in Schleswig-Holstein war eine deutlich Zunahme von 15 Tötungen 2016 auf 43 im Jahr 2017 festzustellen.
Die Schlussfolgerung scheint auf der Hand zu liegen: mehr Wölfe = mehr tote Nutztiere.
Aber so einfach ist es nicht.
Mit Rückkehr der Wölfe nach Deutschland wurden Weidetierzüchter von den zuständigen Behörden immer wieder aufgefordert, ihre Herden besser zu schützen.
Laut einer Schadensstatistik der DBBW (Dokumentations- und Beratungsstelle des Bundes zum Thema Wolf) für den Zeitraum von 2006 bis 2016 waren 86,8 % der durch Wölfe zu Schaden gekommenen Nutztiere Schafe und Ziegen, 9,7% Gatterwild, 3,3% Rinder, in der Regel Kälber. Seit neuestem werden auch Pferde erbeutet.
Auch die verschiedenen Organisationen, die ins Wolfsmanagement involviert sind und sich für Toleranz gegenüber Isegrim stark machen, haben die Tierbesitzer mit Vorschlägen und Ideen ermutigt, diese oder jene Schutzmethode anzuwenden, um am ungetrübten Zusammenleben mit dem Wolf teilhaben zu können.
Dazu (auszugsweise) Dr. Laurent Garde vom „Forschungsinstitut für die Ausführung der Weidewirtschaft in den Alpes méditerranéé“:
„Für das Dossier Wolf hatten wir als die Experten für die Tierhaltung mit Weidewirtschaft ein Mandat des Umweltministeriums bei der nationalen Wolfskommission. (...) Wir haben an den Herdenschutzmaßnahmen gearbeitet. Was sind diese Herdenschutzmaßnahmen? Herdenschutzhunde, elektrifizierte Zäune, Nachtpferche, viel mehr Arbeitseinsätze und viel mehr Handarbeit, um die Herden zu bewachen. (...) Da gibt es viele mehr oder weniger unzuverlässige tolle Dinge, technische Spielereien und viele Leute möchten, dass man die übernimmt. Das sind flatternde farbige Bänder und andere Angst machende Mittel, aber der Wolf ist ein sehr schlaues Tier, das funktioniert alles solange wie es funktioniert. Vielleicht ein paar Tage, und dann sagt man [dem Tierhalter]: ja, stellen Sie einen Esel und ein Lama in die Herde. Na ja, da wird es langsam folkloristisch. Der Herdenschutz ist ein ernstes und ernstzunehmendes Thema. Es ist kein Thema, das man löst, indem man technische Gadgets installiert, um Freude zu machen.“
In allen deutschen Bundesländern galten als Voraussetzung für Schadensersatzansprüche gewisse Mindestmaßnahmen zur Prävention, zum Beispiel ein 90 cm hoher Elektrozaun.
Das Problem: die Beutegreifer lernten, solche Hindernisse zu nehmen.
Der DBBW selbst informiert in einer seiner Publikationen:
„Auch Wölfe, die an nicht ausreichend geschützten Schafen gelernt haben, dass diese eine einfache Beute sind, können die Schäden in die Höhe treiben. Solche Tiere suchen nicht selten gezielt nach Schafen und haben gelernt, Schwachstellen von Schutzmaßnahmen auszunutzen. Diese Wölfe lernen teilweise auch, die Schutzmaßnahmen zu überwinden, die in vielen Bundesländern als Mindeststandard vorgeschrieben sind, (...).“
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Titelbild: Anne Friesenborg
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Mit anderen Worten, Wölfe sind nicht dumm und suchen sich eine Lösung. Und genau das könnte für die Zukunft Konsequenzen haben.
Dr. Laurent Garde: „Wird der Wolf es lernen, die Hürden zu umgehen, die man zwischen ihm und den Herden aufbaut und so trotzdem an seine Beute kommen? Es ist wie mit dem famosen Experiment mit Laborratten im Labyrinth: wenn der Käse am Ende des Labyrinths liegt, steigert man die Hindernisse und Barrieren – aber was macht man da in Wahrheit? Man trainiert die Ratte, immer intelligenter zu werden, um zu lernen, die Hindernisse zu umgehen und die Belohnung zu erreichen, und genau das macht man jetzt mit dem Wolf. Die Belohnung ist das Schaf, die Zäune und die Hunde sind die Hindernisse. (...) Und das ist gravierend, weil man so eine Art biologisches Monster schafft, das nichts mehr mit einem Wolf zu tun hat, der in der Wildnis lebt und über Risiken, durch das Gewehr, durch Gewehrfeuer lernen müsste, sich nicht den Aktivitäten des Menschen zu nähern. (...) Man spielt den Zauberlehrling, man verteilt überall Wölfe, obwohl man nicht weiß, was man den Tierhaltern [zum Schutz der Herden] noch vorschlagen soll.“
Gardes Laborratten Vergleich, lässt zwangsläufig an Forstbetriebsleiter Boris Schnittker aus Norddeutschland denken, der die Befürchtung äußerte, dass Jäger die Wölfe, die bei Drückjagden die Hunde im Treiben verfolgen, gewissermaßen trainieren.
Das Thema Schutzzäune nimmt derweil geradezu bizarre Formen an. Schon im Januar 2018 zitierte das Brandenburger online Portal MOZ.de den Schäfermeister und Vorsitzenden des Schäfervereins Kurmark, Wilfried Vogel, zur neuen Brandenburger Wolfsverordnung:
„Erst vor fast genau drei Jahren hat Wilfried Vogel neue Elektrozäune für seinen Betrieb gekauft. "Damals sollten Wolfsschutzzäune 1,05 Meter hoch sein. Bis dahin hatten wir 90 Zentimeter", erklärt der Schäfermeister und fragt: "Soll ich meine Weidezäune jetzt schon wieder alle wegschmeißen und neue kaufen?" Die Anschaffungskosten bekäme er zwar gefördert, aber nur zum Teil. Und im Falle eines Schadens würde ihm das Fördergeld von der Höchstsumme abgezogen, die einem Tierhalter zustehe - 15 000 Euro binnen drei Jahren, so der Schäfer. (...) Er hält übrigens auch 1,20 Meter hohe Elektrozäune für kein unüberwindliches Hindernis für Wölfe.“
Und damit hat er recht, wie man in der Hessischen/Niedersächsischen Allgemeinen, HNA, schon 2015 lesen konnte:
„(...) 31 der 68 Wolfsrisse gehen aufs Konto der so genannten Goldenstedter Wölfin. Die Wölfin soll Elektrozäune von 1,40 und sogar 1,60 Metern Höhe übersprungen haben. Stimmt das? Ja, heißt es beim NLWKN, zweimal. Aber eben Zäune, hinter denen nicht noch ein Herdenschutzhund wachte.“
So mancher Weidetierhalter ist mit seinem Latein allmählich am Ende. Auch in Frankreich. Auf die Frage des Interviewers Bruno Lecomte, welche Antwort Dr. Laurent Garde vom „Forschungsinstitut für die Ausführung der Weidewirtschaft in den Alpes méditerranéé“ geben könne, sagte der: „Die Antwort unsererseits ist: nehmt Gewehre und erschießt die Wölfe. Wir sind am Ende des Endes. Die Tierhalter sind am Ende und auch wir sind mit diesem Dossier am Ende. (...) Es muss eine veritable Regulation des Wolfes stattfinden, wie in den meisten Ländern Europas, wie in Spanien, in Schweden etc. (...) Wie Norwegen, wie die Schweiz, wie die USA, in der Hoffnung, aus dem Wolf wieder ein wildes Tier zu machen, (...) in der Hoffnung, Art und Weisen wiederzufinden, die Tierhaltung zu schützen, mit Wölfen, die sich nicht annähern.“
Vor einigen Jahren machte der Herdenschutzesel von sich reden. Die großen Herdenschutzhunde können unter bestimmten Umständen und dort, wo keine Zäune aufgestellt werden dürfen, etwa auf den Deichen, nicht eingesetzt werden, weil sie, so sagen manche Schäfer, eine Gefahr für fremde Personen sein könnten. Andererseits bekommt der Viehbesitzer keinen Schadensersatz, wenn er den Angriffen durch Wölfe nicht präventiv etwas entgegenstellt. Der Esel, in der Schweiz und den USA wohl erfolgreich für den neuen Job getestet, schien die perfekte Lösung. Das bestätigte Ende 2016 zum Beispiel auch ein Schäfer aus Niedersachsen, dessen Herde, samt zweier Esel, dort den Deicherhalt besorgen. In den 4 vorherigen Jahren hatte der Besitzer 50 Schafe an Wölfe verloren, nun sollten die Langohren dem Beutegreifer Paroli bieten. |
Oben: der Herdenschutzesel - Wunderwaffe im Kampf gegen Isegrim?
Unten: Hunde, die er nicht kennt, hält der Esel in jedem Falle fern. Fotos: Middelhaufe
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Auch ein anderer Viehzüchter aus dem Norden schwärmte im Spiegel:
„Der Esel rennt nicht weg, er stellt sich dem Wolf. In den Herden, wo die Esel integriert waren, kam es zwar zu Übergriffen, wir hatten aber keine Verluste", betont er. "Die Esel sind an der Innenseite am Zaun neben dem Wolf hergelaufen, haben geschrien und nach den Tieren getreten, das haben Augenzeugen beobachtet", sagt er. "Ein Esel ist eine lebende Alarmanlage, das war optimal."
Jedenfalls 2016; später gab er seine drei Grautiere ab. Der Grund:
„Gegen einen Wolf können sich Esel wehren, aber gegen ein Rudel haben sie keine Chance. Deshalb haben wir die Tiere abgegeben, weil jetzt mehrere Wölfe in der Region gesichtet wurden." In Frankreich und der Schweiz seien Esel gerissen worden. "Das wollten wir unseren Eseln ersparen."
Ganz anders sah ein Züchter aus Lüneburg die Geschichte, denn er hielt die Esel aus eigener Erfahrung nie für das Allheilmittel gegen Wölfe. Im Abstand von wenigen Wochen erlebte er trotz Elektrozaun und Eselspräsenz in der Herde drei Angriffe und verlor dabei 12 Schafe; 18 wurden verletzt. Bei der dritten Attacke war zur Verstärkung sogar noch ein Herdenschutzhund dabei – die Wölfe beeindruckte das offenbar nicht.
Der NABU schreibt auf seiner Website:
„Ein Wolf vermeidet grundsätzlich einen Kampf um Beute. Er könnte sich verletzen, was ihn wiederum für spätere Beutezüge schwächt. Als Jäger, dessen Streifzüge täglich 40 Kilometer betragen, ist die körperliche Unversehrtheit das höchste Gut. Ein Grund, warum Wölfe gegenüber Beute stets vorsichtig taktieren. Ihr Revier markieren Wölfe ebenso wie Hunde mit Urin und Kot. Wölfe verstehen also die Botschaft, die Herdenschutzhunde aus der Schafherde senden: Hier leben wir!
Wölfe sind vorsichtige Tiere. Sie beobachten ihre Beute, bevor sie angreifen. Wölfe erkennen, welche Tiere jung, alt oder krank sind und damit überhaupt als Beute erreichbar sind. Die Herdenschutzhunde sind mindestens so groß wie die Wölfe. Die Hunde bedeuten also eine echte Gefahr für Wölfe. Die Schafe oder Ziegen in der Herde sind deswegen nicht mehr interessant für sie.“
Man kann nicht widerstehen zu entgegnen: schade, dass die Wölfe das nicht auch gelesen haben.
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Große Hunde in die Herden zu integrieren ist ein wichtiger Teil der Schutzmaßnahmen, nur darf man davon keine Wunder erwarten.
Ende 2018 wurde eine 600 köpfige Herde von einem Wolfsrudel angegriffen. Ergebnis: 34 tote Schafe – trotz Elektroumzäunung, trotz mehrerer Herdenschutzhunde im Einsatz.
Die LfL (Bayrisches Landesanstalt für Landwirtschaft) stellt fest:
„Die Größe der zu schützenden Herde (und die Anzahl der Großbeutegreifer in der Region) entscheidet darüber, wie viele Herdenschutzhunde benötigt werden. Dabei werden immer mindestens zwei Hunde zusammen gehalten, wenn möglich ein Welpe und ein erwachsener Hund. Ab einer Herdengröße von 500 Schafen sollten zwei bis drei, ab 1.000 Schafen eher drei bis vier Hunde eingesetzt werden. Die Haltung von einzelnen Hunden ist nicht nur aus tierschutzfachlichen Aspekten abzulehnen, sondern auch, weil der einzelne Hund nicht genügend Auslastung erfährt und in Folge dessen oftmals die Nutztiere belästigt.“
Italien ist die Heimat eines ausgezeichneten Herdenschutzhundes, des Pastore maremmano-abbruzzese. Wie setzt man die Hunde dort ein und wie effizient sind sie?
Die Initiative „Proteggi il tuo bestiame“ („Schütze dein Weidevieh“) sieht die Wirksamkeit von Herdenschutzhunden sowohl auf umzäunten Weiden von Zuchtbetrieben als auch beim freien Weidegang bestätigt.
Vor allem bei großen Herden, die in den Bergen auf weiten, offenen, gut einsehbaren Wiesen weiden, reduziert bei der nächtlichen Unterbringung die Verbindung aus angemessenen Elektrozäunen, Herdenüberwachung durch Hunde, guter Erreichbarkeit ausreichend vieler Wasserstellen sowie einer Übernachtungsmöglichkeit für die Hirten die Anfälligkeit für Angriffe teilweise bis um mehr als 90%.
Die Hunde sind umso wirkungsvoller, je kompakter die Herden sind, - abseits allein weidende Tiere kann der Wolf besser erbeuten - und je offener und einsehbarer die Weiden. Eine abwechslungsreiche Oberflächenstruktur des Geländes und Buschwerk oder Wald hingegen erlauben dem Beutegreifer, sich unbemerkt zu nähern und zuzuschlagen. Da Schafe und Ziegen einfacher zusammenzuhalten sind als Rinder, ist der Hund als Schutzmaßnahme bei Letzteren weniger effizient.
Die wesentliche Funktion des Herdenschutzhundes ist die Abschreckung, das heisst, er entmutigt den Wolf überhaupt an die Weidetiere heran zu gehen. Das erreicht er durch seine Präsenz, Bellen, Reviermarkierung im Weidebereich seiner Herde, Verfolgung und direkte Konfrontation des Wolfes, die aber nur in den seltensten Fällen zum Kampf führt, da der Hund den Beutegreifer lediglich fern halten will.
Dieses Szenario macht aber auch deutlich, dass die Anzahl der Hunde der Größe ihrer Herde ebenso wie den vorhin erwähnten Geländebedingungen angepasst sein muss und der Hirte darüber hinaus ständig ihre Einsatzfähigkeit kontrollieren und arbeitsuntaugliche Hunde ersetzen muss. Geraten wird, immer mindestens zwei Hunde für kleine Herden einzuplanen und mindestens einen Hund pro 50-100 Schafe in großen Herden.
Obwohl normalerweise davon abzusehen ist, mehr als fünf Hunde gemeinsam einzusetzen, muss ihre Anzahl erhöht werden, wenn Umweltbedingungen, etwa die Nähe von ausgedehnten, schwer zu kontrollierenden Zonen mit Buschwerk oder dichtem Wald, aber auch mit Wasserläufen, dies erfordert. Grundsätzlich sollten unter solchen Umständen zur Unterstützung der Hunde auch ständig Hirten präsent sein. Ist das nicht möglich, wäre es ratsam, die Herde in mehrere kleine Gruppen aufzuteilen und ihnen die nötige Anzahl von Hunden zur Seite zu stellen.
Mancherorts gilt übrigens die Faustregel: es müssen so viele Hunde da sein, wie Wölfe im ansässigen Rudel, damit die Raubtiere keine Chance haben, eine geringe Zahl von Hunden etwa durch Scheinangriffe zu binden, während der Rest des Rudels sich über die Beute hermacht.
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In Italien werden vorwiegend zwei Hunderassen verwendet: der Pastore Maremmano-Abbruzzese, den man überall im Lande antrifft, und der Pyrenäenberghund, der in erster Linie in den Alpen eingesetzt wird. Charakteristisch für den Maremmano sind seine Ruhe, Widerstandsfähigkeit, Entscheidungsfähigkeit und Unabhängigkeit. Ein angemessen gezüchteter Rassevertreter, so unterstreicht auch „Proteggi il tuo bestiame“, zeichnet sich durch starke Bindung an und ausgeprägten Schutztrieb für seine Herde, Zuverlässigkeit, Misstrauen gegenüber Fremden aber gleichzeitig große Ausgeglichenheit aus, so dass er zwar versucht, Unbekannte einzuschüchtern, sie aber nicht direkt und aggressiv angeht.
Da Aggressivität unweigerlich zu Problemen in Tourismusgebieten oder bewohnten Zonen führen würde, wird davon abgeraten, Herdenschutzhunde auf Aggressivität zu züchten, zumal es keine Untersuchungen gibt, die bei einem Mehr an Aggressivität auch ein Mehr an wirkungsvollem Schutzverhalten nachgewiesen hätten.
Schließlich wird noch darauf hingewiesen, dass der Herdenschutzhund sich stets seinen Weidetieren verbunden fühlen soll und die Beziehung zum Menschen nur zweitrangig sein darf. Seine Erziehung beschränkt sich im Wesentlichen auf die drei Befehle „Hierher“, „Nein“ und „Zur Herde“, da ein Übermaß an Gehorsamsforderungen seitens des Menschen die eigentlich Funktion des Hundes beeinträchtigen kann.
In bestimmten Gebieten sind Herdenschutzhunde ein sinnvoller Aspekt der Präventivmaßnahmen gegen Wolfsangriffe, aber dort wo tagsüber offener Weidegang praktiziert wird, sind sie doch nicht ganz unproblematisch. Zum Einen sind ja durchaus nicht alle Hunde, wie die Initiative „Proteggi il tuo bestiame“ es nennt „angemessen gezüchtete Rassevertreter“, die überdies als Welpen den richtigen Umgang mit fremden Menschen und anderen Hunden gelernt haben, zum anderen können oder wollen auch nicht alle Schäfer ständig bei ihrer Herde sein. So mancher italienischer Jäger kann ein Lied davon singen, was es bedeutet, wenn seine Jagdhunde auf Herdenschutzhunde treffen, und die, meist ausländischen, Touristen, die eine Bergwanderung genießen wollen, ebenfalls.
Dass der Maremmano dennoch als gute Lösung betrachtet wird, liegt wohl auch daran, dass die Italiener selbst eben nicht sehr „outdoor begeistert“ sind und Zwischenfälle deshalb vergleichsweise selten erleben.
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Der NABU beschreibt den Pastore Maremmano-Abbruzzese und den Pyrenäenberghund als „freundlich, aber entschieden“.
Die Tierärztekammer Baden-Württemberg ist mit dieser Einschätzung von Herdenschutzhunden nicht einverstanden. Ihr zunehmender und von verschiedenen Organisationen sowie dem BfN (Bundesamt für Naturschutz) propagierter Einsatz ist nach Meinung des Präsidenten der Tierärztekammer eine „risikoreiche Scheinlösung“. Er erklärt in einer Pressemitteilung auch warum:
„Der Herdenschutzhund ist in unseren kleinteiligen Wäldern und eng besiedelten Kulturräumen kein geeignetes „Anti-Wolf-Instrument“, sondern für unbeteiligte Dritte im höchsten Grade risikobehaftet,“ warnt Dr. Thomas Steidl (...). Klassische Ursprungsländer dieser sehr alten Hunderassen sind wilde, menschenleere Gebiete wie die Maremma, die Pyrenäen, der Kaukasus oder das anatolische Bergland. Herdenschutzhunde dürfe man auch nicht verwechseln mit Hütehunden, die auf Befehl und Anweisung des Schäfers mit der Herde arbeiten.“
Womit er recht hat. Vor allem aber muss man bei der Empfehlung zum Einsatz dieser Hunde das Freizeitverhalten der Deutschen mit in die Überlegungen einbeziehen. Wir gehen nun mal lieber als viele unserer europäischen Nachbarn wandern, radeln, spazieren, joggen, reiten und was sich sonst noch bietet, und gerade wer aufs Land zieht oder an den Stadtrand, betrachtet den Zugang zur Natur als Teil der eigenen Lebensqualität. Wölfe passen da ebenso wenig ins Konzept wie Herdenschutzhunde, die Erholungssuchende einschüchtern.
„Die Sozialisierung von Herdenschutzhunden," so liest man auf der Internetseite wir-sind-tierarzt.de weiter, "sei extrem aufwendig und erfordere ein hohes Maß an Sachkunde und Verantwortung vom Halter“, gibt auch Dr. Julia Stubenbord, Landestierschutzbeauftragte in Baden-Württemberg zu bedenken. “Die Hunde haben meist nur eine geringe Motivation mit dem Menschen zu kooperieren. Sie zeigen selbstbewusst ein starkes Territorialverhalten und werden seit vielen Generationen darauf gezüchtet, eigenverantwortliche Entscheidungen zu treffen, wenn sie die Sicherheit ihrer Herde bedroht sehen“, ergänzt Ariane Kari, Amtstierärztin und stellvertretende Landestierschutzbeauftragte.“
Dass das BfN den Herdenschutzhund weiterhin empfiehlt, stösst auf Unverständnis; auch weil das Bundesamt selbst erklärt:
„Zusätzlich muss berücksichtigt werden, dass es die so genannte „natürliche Scheu“ von Wildtieren nicht gibt, sondern dem Verhalten des einzelnen Tieres vielmehr ein individuelles Risikomanagement zugrunde liegt.“
Die LfL teilt im Wesentlichen die Beurteilung der Tierärztekammer und präzisiert:
„Konfliktsituationen, die bei der Haltung von Herdenschutzhunden auftreten können, sind beispielsweise Drohungen und Angriffe gegenüber fremden Menschen, Ausbrechen der Hunde aus der Herde, Misshandlungen der Nutztiere, Aggressivität gegenüber Hütehunden, vermehrte Lärmbelästigung usw.“
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Schafe in einem italienischen Bergdorf. Foto: Middelhaufe. |
Bruno Viola ist nicht nur Schäfer im Trentin, sondern auch Präsident der Adgp, Associazione per la Difesa del Patrimonio Zootecnico dai Grandi Predatori (Vereinigung zur Verteidigung des Tierbestandes vor den großen Beutegreifern):
„Wir können nicht Ja zum Wolf sagen. Ich bin Schäfer und der Wolf bleibt in jedem Fall mein Gegner, der mir das wegnimmt, wofür ich lebe. Aber wir sagen Ja zum Zusammenleben in dem Sinne, dass man mit diesen Beutegreifern innerhalb bestimmter Grenzen zusammenleben kann und ich wünschte, dass alle meine Kollegen Schäfer und Züchter, die weinen, wenn der Wolf ihnen ihre Tiere tötet, das verstehen würden.“
Viola setzt auf angemessene Zäune, Herdenschutzhunde und die Bereitschaft, etwas zu unternehmen. Die Hunde sind natürlich Maremmani.
Vom Abschuss der Wölfe als Ergänzung zum Herdenschutz oder gar als Lösung des Wolfsproblems hält Bruno Viola übrigens nichts:
„Man muss sich nur informieren um zu wissen, dass Abschüsse, wenn sie nicht ganz genau überlegt werden, gefährlicher wären als alles andere, da sie die Rudel destabilisieren und dann muss man wirklich Angst haben, denn ohne Führung besteht die Gefahr, dass die Tiere jedes für sich allein loszieht, ohne Hierarchie und Ordnung.“
Violas Adgp, bestehend aus acht trentiner Agrarbetrieben, hat ihre Vierbeiner direkt vom Maremmano Rasseklub bezogen und der Futterhersteller Almo Nature hat sich eine gute PR Aktion gegönnt, indem er die Versorgung der Hunde garantiert, die pro Nase immerhin gut 800 Gramm Futter täglich verspeisen.
„Als Vereinigung sind wir bereit, all unseren Kollegen zu erklären, was wir wissen und selbst im Laufe der Zeit gelernt haben. Die einzige Gewissheit ist, dass Abschießen keine Lösung darstellt und dass derjenige, der weint, klagt und Antworten von Europa oder sonstwem erwartet, es nicht schaffen wird, seine Tiere, die unser höchstes Gut sind, wirklich zu verteidigen.“
Das sagte Bruno Viola letzten Sommer, als die autonomen Provinzen Trentino und Bolzano gerade den begrenzten Abschuss von Wölfen erlaubt und auch die Region Toskana die Absicht erklärt hatte, ein eigenes Gesetz zum Wolfsmanagement zu verabschieden, das die Möglichkeit von Abschüssen einbezieht. Der italienische Umweltminister kippte die Gesetze bekanntlich, doch der Widerstand im Norden lässt nicht nach. Am 31. Januar 2019 einigte man sich in Venetien auf einen ähnlichen Gesetzesentwurf wie in Trentino.
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Wölfe in Norditalien. Fotos: Sara Chiarlone
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