Jagdhund ohne Jagdschein? •• Jagdhunderassen •• Laufhunde/Meutehunde/Bracken •• Jagd und Jäger •• Erziehung & Ausbildung
Die AutorInnen Fotogallerie Bücher & DVD Links Kontakt Copyright/Haftungsausschluss

Wissenswertes



DK vom Jäger ausgesetzt - oder doch nicht?


> Wissenswertes

> Erfahrungen mit dem...
> Züchterinterviews
> Portraits



home

DK vom Jäger ausgesetzt - oder doch nicht?
Von Sabine Middelhaufe

Als ich morgens mit meinem Hund zur Waldrunde aufbrach, lag vorm Haus das lange Gummiseil, das ich manchmal zum Schleudern von Dummies gebrauche; als wir ein paar Stunden später heim kamen, war ein Ende des Seils zwar nach wie vor am Bodenanker befestigt, aber das andere mit einem orangenen Halsband verbunden, und in dem Halsband steckte ein Deutsch Kurzhaar Rüde.
Der arme Kerl war so erschöpft, dass er einfach liegen blieb, während mein Bracco ihn dräuend beroch - man muss ja sofort zeigen, wer hier der Boss ist - und als er sich schliesslich doch mühsam erhob, merkte ich, dass er auf zwei Läufen leicht lahmte. Äussere Verletzungen zeigte er ansonsten nicht, aber leider auch keinen Hinweis auf seine Identität.
Normalerweise schreiben Jäger gut lesbar ihre Telefonnummer aufs Halsband des Hundes, damit man, sollte er verloren gehen, sofort den Besitzer verständigen kann. Ergo deutete ich das Fehlen einer Handynummer schon als böses Vorzeichen... Insbesondere, weil die Jagdsaison ja seit Dezember vorbei ist. Wo also kam dieser Hund im April her? Und offensichtlich hatte er sich auch nicht selbst an das Gummiseil gebunden...
Zunächst einmal löste ich den Kurzhaar von der Dummyschleuder, streichelte ihn, was er gern annahm, stellte ihm frisches Wasser und etwas Futter hin, was er offenbar dringend gebraucht hatte, und ging dann mit meinem eigenen Hund ins Haus, nachdenken. Vielleicht auch ein bisschen hoffend, dass der Fremde, einmal gestärkt und frei, sich nach Belieben zu bewegen, den Heimweg antreten würde, wo auch immer dieses Heim sein mochte.
Der Blick aus dem Fenster belehrte mich schnell eines Besseren: der DK hatte sich auf der grossen Fussmatte vor der Haustür ausgestreckt und schlief dort neben meinem Paten-Goldie den Schlaf der Gerechten.
Ich wohne recht einsam auf einem Berg am Waldrand und wer hier herkommt, muss eigentlich an der Trattoria meines Nachbarn, 500 m entfernt, vorbei fahren. Der Anruf beim Nachbarn brachte sofort ein bisschen Licht in die Angelegenheit, denn er war es gewesen, der den Hund hier angebunden hatte! Der Rüde war plötzlich bei ihm aufgetaucht, vielleicht angezogen vom Duft der diversen Hündinnen, und in der irrigen Annahme, es handle sich um meinen Bracco, hatte der brave Nachbar den vermeintlichen Ausreisser nachhause gebracht.
Einmal geklärt, dass Julian ein Bracco Italiano ist und der Fremde ein Deutsch Kurzhaar, folglich nicht zu mir gehörig, kamen wir überein, dass der Nachbar seine Jäger Freunde und ich meine anrufen würde, um festzustellen, ob irgendwer von einem abhanden gekommenen DK wüsste
.

Der Findling.

Und natürlich stellte ich die Notiz sofort ins Jägerforum, wo DK Führer aus allen Teilen Italiens präsent sind.
Mittlerweile war es Zeit für die abendliche Runde, und obwohl er vom "Platzhirsch" anfangs noch etliche schele Blicke erntete, schloss sich Pete (irgendwie musste ich den Hund ja ansprechen...) ganz selbstverständlich und begeistert an und schien den Ausflug in Wald und Wiesen richtig zu geniessen.

Die Rückfrage beim Nachbarn ergab, dass auf seiner Seite des Bergs niemand von einem verschollenen DK gehört hatte, aber dann fiel mir ein, dass auf unserer Seite häufig Suchanzeigen im Supermarkt, im Zeitschriftenladen und den kleinen Bars im Städtchen hängen, wenn Jäger verzweifelt einen verloren gegangenen Vierbeiner suchen. Da meine Freundin, eine Jägerin, im Supermarkt arbeitet, rief ich sie abends an, und obwohl sie so aus dem Stand auch nichts von einem DK wusste, gab sie mir den Tipp, am nächsten Morgen gleich den Jagdaufseher unserer Zone zu informieren, damit der mit seinem Lesegerät zu mir kommen und den eventuellen Chip des Hundes kontrollieren könnte. Genialer Einfall!
Derweil hatte Pete sein Abendessen in meinem Flur eingenommen und sich dann mit der Goldie Grossmutter als Gesellschaft auf dem Hundeteppich in eben diesem Flur zur Nachtruhe gelegt.
Er jammerte nicht, pischerte nicht ins Haus, vergriff sich nicht an den vielen Dummies, Hasenfellen, Enten etc. die dort herum liegen und machte ganz den Eindruck, das Leben in einer Wohnung zu kennen.
Am folgenden Morgen verlief die Pinkelrunde zwischen Julian und Pete so entspannt, dass ich es wagte, Goldie, Bracco und DK gemeinsam auf dem Rücksitz des winzigen Lancia zu den Heuwiesen zu kutschieren, wo wir eine schöne lange Runde drehten. Pete schien sich mittlerweile sogar ein bisschen an Julian zu orientieren, allerdings gab es diesbezüglich auch ein kleines Missverständnis.

Als ich nämlich auf einer Wiese Rehe entdeckte, streifte Pete gerade anderswo durch die Büsche; Julian hingegen, in meinem Kielwasser, setzte sich brav und liess mich in Ruhe filmen - bis Pete aufkreuzte und an mir vorbei Richtung Rehe ging. In Wahrheit hatte der DK das Wild in der Ferne noch gar nicht gesehen oder gewittert, im Gegensatz zum Bracco, der die Tiere schon die ganze Zeit beobachtet hatte. Aber offensichtlich glaubte Julian, der andere Rüde würde sich "vordrängeln", was man als Boss natürlich nicht zulassen kann. Er überholte den DK also zügig, rannte als Erster dem fliehenden Reh nach, und erst da fiel bei Pete überhaupt der Groschen und er setzte seinerseits zum Spurt an. Wobei ich vermute, dass er einfach Julian folgte, denn als der Bracco am Wiesenrand beidrehte, machte Pete keine Anstalten, das Reh allein zu verfolgen...Typischer Fall nicht von Rehjagd, sondern von Ranggeplänkel zwischen Rüden, würde ich sagen.

Schele Blicke vom "Platzhirsch" - aber nur am Anfang.

Heimgekehrt rief ich unseren Jagdaufseher im Städtchen an, und der versprach, am Nachmittag jemanden mit dem Chip-Lesegerät zu mir zu schicken.
Just als die befreundete Jägerin mit dem Gerät unten an meiner Haustür klopfte, klingelte auch das Telefon. Ein anderer Freund, seines Zeichens DK Züchter, war dran und rief ganz aufgeregt: "Jemand ist schon auf dem Weg, den Hund abzuholen!"
Wow! Das nennt man Effektivität...!
Mit Hilfe meiner Angaben und Fotos des Hundes hatte die norditalienische DK Gemeinde sehr schnell festgestellt, wer Deutsch Kurzhaar des Typs züchtet, zu dem Pete gehört (für die Augen des Rasseexperten wohlgemerkt, nicht für meine Augen), das Feld auf Rüden zwischen ca. 3-5 Jahren beschränkt, und dann dank Emails und Telefonaten binnen weniger Stunden heraus gefunden, wer in den vergangenen Tagen in meiner oder den umliegenden Gebieten vergeblich seinen DK gesucht hatte.
Der Besitzer war schnell ermittelt, sein Freund, der Jagdaufseher im Nachbartal, verständigt und während wir noch, nur so zum Spass, um zu sehen wie das Gerät funktioniert, Petes Chipnummer lasen, hörten wir draussen Stimmen, Pete bellte (freudig und zum ersten Mal seit seinem Auftauchen), und ja, da stand der Jagdaufseher mit seinem Sohn vor der Tür und nahm glücklich den braven Pete in Empfang. Wieso sich Pete so weit von dem Übungsrevier, wo er drei Tage zuvor abhanden gekommen war, entfernt hatte, wird ewig sein Geheimnis bleiben, aber niemand nahm ihm die Eskapade übel; alle Beteiligten waren viel zu glücklich, dass der Hund wohl behalten wieder heimwärts reisen konnte.
Allerdings wird es ein baldiges Wiedersehen geben, denn der Jagdaufseher hat mich eingeladen, mit Julian in sein Übungsrevier zu kommen, und dort kann ich die beiden Hunde dann hoffentlich in Ruhe bei der Arbeit filmen.

Was mir bei dieser ganzen Geschichte natürlich zu denken gibt, ist wie so anders sie hätte enden können...
Angenommen, ich hätte gesagt, "Aha! Da hat so ein verdammter Jäger seinen unerwünschten Hund bei mir angepflockt!" und direkt das Gemeindeamt angerufen, wäre das Amt verpflichtet gewesen, unverzüglich das zuständige Tierheim zu verständigen, um den Hund stante pede bei mir abzuholen und erst dort, im Tierheim, via Chiplesung den Halter zu ermitteln, der für die ganze Aktion natürlich kräftig hätte bezahlen müssen.
In Petes Falle wäre die Sache freilich noch komplizierter gewesen, da man einen Hund in Italien bei diversen Stellen melden kann bzw. muss. Und so hätte man im Tierheim festgestellt, dass hier der Züchter als Besitzer des Hundes eingetragen ist, dort hingegen eine Privatperson, Pete zum Zeitpunkt des Abhandenkommens jedoch in der Obhut einer dritten Person stand, die offiziell nirgends genannt ist. Unter Umständen hätte der tatsächliche Besitzer den Herrschaften vom Tierschutz gar nicht befriedigend nachweisen können, eben dieser Besitzer zu sein; unter Umständen hätten die Tierschützer angesichts zwei unterschiedlicher Besitzer für die selbe Chipnummer auch gar nicht erst weitergeforscht - und Pete wäre vielleicht in die Zahnräder der Tierschutzmaschinerie geraten, hätte sein Leben vielleicht im Tierheimzwinger gefristet oder wäre als nächstes vermeintliches Opfer böser Jäger von einem gutherzigen deutschen Hundefan adoptiert worden... (Glauben Sie nicht, dass Tierschützer einem Jäger seinen Hund vorenthalten? Können Sie aber glauben!)
In Wahrheit ist der Fall Pete ganz einfach erklärt: ein Züchter verkaufte dem Jäger einen Welpen, und da in Italien fast jeder offizielle Stempel Geld kostet, verzichteten die beiden darauf, den Hund beim Zuchtbuchamt umzumelden; offiziell blieb hier der Züchter der Besitzer. Bei der Gesundheitsbehörde hingegen, die jeden in Italien gechippten Hund erfasst, liess sich der Jäger als Besitzer seines DK eintragen. Da dieser Jäger meist mit seinem Freund jagen geht, hat Pete quasi zwei Herrchen, und es war dieser Freund mit dem er neulich im Übungsrevier war und dabei abhanden kam.
Wahrlich kein Grund, dem guten Mann den Hund nicht zu übergeben. Es sei denn, man pocht auf Gesetze, fordert Dokumente und fühlt sich ganz allgemein berechtigt, "gewissen Leuten", sprich: Jägern zu misstrauen und meint obendrein, dass ein Jagdhund, der nicht jagen gehen muss sowieso glücklicher ist. Eine Einstellung, die, fürchte ich, bei Tierschützern in Italien und Deutschland gar nicht so selten ist.
Und deshalb frage ich mich sehr beklommen, wie viele Hunde wohl zu Unrecht in einem Tierheimzwinger und von dort vielleicht im Ausland gelandet sind, bloss weil gleich zu Anfang niemand glauben wollte, dass der Besitzer diesen Hund sucht, verzweifelt sucht - nur vielleicht am falschen Ort, so wie Petes Zweitherrchen. Dass der DK innerhalb von nur drei Tagen wieder nachhause fahren konnte, verdankt er in erster Linie einer grossen Zahl von Jägern, die durch Weiterleitung der bekannten Informationen bei der Feststellung seiner Identität geholfen haben. Ohne Hund oder Halter zu kennen. Warum?
Meine Freundin, die sich einen halben Tag Urlaub genommen hatte, bloss um den Chipleser zu mir bringen zu können, sagte beim Abschied: "Jedes Mal, wenn uns bei der Brackierjagd ein Laufhund abhanden kommt bin ich in Sorge, dass er unters Auto geraten sein könnte, von einer Sau verletzt oder gestohlen wurde. Das sind immer Stunden oder Tage purer Stress, und die Erleichterung, wenn dann das Handy klingelt, weil endlich jemand den Hund gefunden hat, kannst du dir bestimmt vorstellen! Wenn ich also hör, dass ein anderer Jäger seinen Hund sucht, helf ich natürlich, ist doch klar!" Und genauso sahen das auch die anderen, die in Petes Falle geholfen haben.
An dieser Stelle sei mir ein kleiner Abschweif erlaubt.
Laufhunde werden besonders häufig Opfer wohl gemeinter, aber völlig unangebrachter Hilfsaktionen seitens offizieller und inoffizieller Tierschützer, und der Grund ist folgender: zwischen August und Dezember/Januar wird mit Laufhunden trainiert und gejagt, und ihre typische Jagdart bringt diese Hunde oft in viele Kilometer Entfernung von ihrem Führer. Ist die Jagd des Tages dann vorüber oder die Hunde brechen sie ab, kehren sie zunächst an den Ort zurück, wo sie ihren Herrn das letzte Mal gesehen haben, etwa dort, wo sein Wagen steht. Ist niemand mehr da, warten sie eben. Hören sie Stimmen oder Jagdgeräusche in der Nähe, bewegen sie sich wahrscheinlich in diese Richtung weiter. Vor allem im August und September sehen vorbei fahrende Touristen oder Urlauber der umliegenden Städte, die nicht wissen, wie Brackierjagd funktioniert, diese erschöpften Hunde längs der Landstrasse trotten und versuchen, bisweilen mit den abenteuerlichsten Mitteln, sie einzufangen.
In vielen Fällen gelingt ihnen das nicht, denn Laufhunderassen sind nicht zufällig scheu gegenüber Fremden, aber manchmal klappts halt doch.
Statt nun stante pede den Halter anzurufen wird der Hund lieber bedauert, ins Auto gepackt und mitgenommen. Etliche hundert Kilometer später schlägt den Leuten vielleicht doch das Gewissen, sie verständigen den Hundebesitzer und der muss sein "Eigentum" bei ihnen abholen. Wenn er Glück hat. Wenn er Pech hat, sucht er tagelang das Jagdgebiet ab und findet seinen Vierbeiner trotzdem nicht mehr...
Und wiederum frage ich mich, wie viele Laufhunde wohl auf deutschen Sofas liegen, nicht weil sie von italienischen Jägern "entsorgt" wurden, sondern weil sie von unverständigen Laien "entwendet" wurden..?

Text (c) 2012
Fotos (c) Sabine Middelhaufe

 

home Seitenanfang Menü Fotoalbum