Jagdhund ohne Jagdschein? •• Jagdhunderassen •• Laufhunde/Meutehunde/Bracken •• Jagd und Jäger •• Erziehung & Ausbildung
Die AutorInnen Fotogallerie Bücher & DVD Links Kontakt Copyright/Haftungsausschluss

Wissenswertes


Rutenkupieren in Italien - Interview

 

> Wissenswertes

> Erfahrungen mit dem...
> Züchterinterviews
> Portraits



home

Rutenkupieren in Italien - Interview

Das folgende Interview wurde von FederFauna (European Confederation of Associations of Animals Farmers, Traders and Holders) mit Dr. Agr. Elettra Grassi gemacht.
Frau Grassi hat sich u.a. durch Erwerb zweier Master Degrees in Hundezucht-Management der Scivac (Italian Companion Animal Veterinary Association) auf eben dieses Thema spezialisiert. Sie ist ausserdem Sachverständige beim Gericht von Ravenna, Autorin des ersten italienischen Buchs über Kennel Management (veröffentlicht von Il Sole 24 ore – Edagricole), Vortragende bei zahlreichen Seminaren zum Thema "Ethik und Selektion" und wurde 2009 mit dem "Heiligen Franziskus Preis" ausgezeichnet.

Rutenkupieren ja, Rutenkupieren nein...
EG: In den 80er Jahren waren wir glückliche Besitzer eines Dobermanns - unkupiert! Oh ja, in den 80ern, als so etwas mehr als ungewöhnlich erschien waren wir gewissermaßen unserer Zeit voraus. Dessen ungeachtet bin ich für das Rutenkupieren bei Jagdhunden, denn hier dreht es sich nicht um eine Frage der Ästhetik sondern der Funktionalität.
Wer die Aufgabe des Jagdhundes kennt, vor allem in der Macchia oder in den Appenninen, weiss, dass das von jeher praktizierte Kupieren seinen Grund einerseits in der Arbeit des Hundes findet, einer Arbeit, die er ausführen muss und auszuführen liebt (ein Hund liebt es immer, das zu tun, wofür er geboren wurde!), andererseits dem Schutz des Hundes selbst dient.
Das Rutenkupieren würde seinen Sinn nur dann verlieren, wenn der Jagdhund "arbeitslos" würde, d.h. wenn man seinen Einsatz als Jagdgefährten verböte. Aber aus der Perspektive der Tierzucht ist eine arbeitslose Rasse eine erloschene Rasse, folglich ein nicht wieder gut zu machender Verlust der Artenvielfalt. "Arbeit adelt den Menschen", sagt das Sprichwort, und ich füge hinzu, "und bewahrt Tiere vor dem Aussterben."


Segugio Maremmano. Foto: Sergio Leonardi
Titelfoto: Bracco Italiano. Foto: Sabine Middelhaufe

Was bedeutet es, eine Hunderasse zu erhalten?
EG: Eine Hunderasse und dadurch, als Nebeneffekt, einen Rassehund zu erhalten, bedeutet das historische und kulturelle Erbe eines Volkes zu erhalten, das Leben zu erhalten, bedeutet an künftige Generationen eine Artenvielfalt weiter geben zu können, die der Reichtum eines Volkes ist, weil sie der Reichtum des Lebens selbst ist. Jedesmal wenn sich die Basis für die Auslöschung eines Tieres findet und, um eine Parallele zu ziehen, die Auslöschung einer Rasse, einer Wildtierspezies oder - variante, haben wir auch die Voraussetzung für
einen Kampf gegen diese Tiere und gegen die Menschen, die sich ihnen widmen.
Rassetiere sollen erhalten bleiben, Zuchttechniken sollen erhalten bleiben, denn indem man sie bewahrt schützt man die Tiere selbst und die Familien, die sie züchten.
Tierzucht zu bejahen bedeutet Artenvielfalt zu bejahen. Viele Wildtierarten sind nur durch Zucht in Gefangeschaft vor dem Aussterben gerettet worden. Sogar für den Panda hat man diesen Weg gewählt. Haustiere machen da keine Ausnahme: auch ihre Weiterexistenz beruht auf Zucht, aber man kann Tiere nur züchten, wenn sie eine aktive Rolle in der Gesellschaft spielen und von der Gesellschaft gewertschätzt werden. Ausgestorbene Rassen sind all

jene, die ihren Seinsgrund und ihre Funktion verloren hatten. Ein Freund von mir, selbst Züchter, machte einmal diese bittere Bemerkung (wir redeten gerade von Rindern): "Italien ist das Land mit der größten Artenvielfalt und folglich mit dem grössten züchterischen Erbe der Welt, aber gerade deshalb sind wir auch die größten Zerstörer des züchterischen Nachlasses." Ich möchte gern glauben, dass er diesen Satz in einem Moment der Bedrücktheit sagte und es sich nicht um Realität handelt...

Welche negativen Auswirkungen können gewisse Gesetze denn für die Selektion von Tieren haben?
EG: Man kann hier das Sprichwort zitieren: "Der Weg in die Hölle ist mit guten Absichten gepflastert". Viele Wege, die zum Wohl der Tiere eingeschlagen wurden können sehr lobenswert erscheinen, aber manchmal haben sie den Makel, im philosophischen Sinne orthodox zu sein (Anm.d.Red.: man möchte vielleicht sagen "ideologisch orthodox") und den grossen Nachteil, eine vollständige und technische Sichtweise auszuklammern, deren Ziel es nicht ist, Schlachten oder Kriege zu gewinnen. Manchmal scheinen Gesetze weniger dem Wohl der Tiere zu dienen, als eher der Entmutigung der Tierzucht an sich. Und das ist dann wohl mehr eine ideologische als eine technische Position.
Es ist im Interesse der Tiere, eine Zukunft zu haben, und es ist im Interesse eines Landes, starke Zuchttechniken zu haben, sowohl im klassischen Bereich (Nutztiere) als auch im Kleintierbereich (Haustiere, Acquaristik usw.). Gesetze müssten deshalb zu allererst als wahres Ziel die Unterstützung der Tierzucht, und zwar der guten Tierzucht wiederentdecken. Ein Ziel das paradoxerweise gerade denen vielfach zu widerstreben scheint, die sich mit dem Wohl von Tieren beschäftigen. Nehmen wir als Beispiel die Hundezucht; die Kosten für die nötigen Kennel Strukturen mittelgrosser und kleiner Zuchtstätten sind ausserordentlich hoch und sie haben eine starke Wirkung auf ihr Umfeld - dies ist bei einer bescheidenen Zuchttätigkeit nicht zu rechtfertigen und steht im Gegensatz zum Konzept der "Nachhaltigkeit" das die moderne Kultur der Nutztierzucht bestimmt. Absurderweise sind wir in Italien bei der Hundezucht ein bisschen in der Phase, ausgerechnet die Intensivzucht und die Riesenzwinger anzukurbeln, im klaren Gegensatz zu an deren Ländern. Das ist ein in Europa einzigartiges Phänomen, genauso einzigartig wie der Missbrauch dieses Phänomens.

Deutsch Kurzhaar. Foto: J. Weber

Es fällt schwer nicht zu vermuten, dass Gesetze, die nicht vertretbar oder stark von Ideologien beeinflusst sind, oder ethisch zwar korrekt, aber technisch unzulänglich waren, einen negativen wenn nicht gar paradoxen Effekt im Bereich der Hundezucht hatten.
Die Bedingungen im Ausland, die ich gut kenne, insbesondere die hoch entwickelte Zucht in Grossbritannien und Schweden, fördert öko-kompatible Strukturen, einfache und "schlanke" Voraussetzungen für Genehmigungen, und damit für die zuständigen Behörden entsprechend unkomplizierte Kontrollen auf der Grundlage eines objektiven Wohlergehens der Tiere. All das hat die Tierzucht an sich und vor allem die gute Tierzucht gefördert und eine gesunde und vertretbare Form der Hundezucht geschaffen.

Wie stellt sich die Situation des Kupierens in Europa dar?
EG: Deutschland war bekanntlich das erste Land, das sich bei der Zucht entschieden und wirkungsvoll für den völlig unkupierten Hund ausgesprochen hat. Es war aber ebenfalls das erste Land, das eine unbefristete Ausnahmeregelung für die heimischen Jagdhunderassen, die für den praktischen Einsatz bestimmt sind festgelegt hat. Wer einen Jagdschein hat darf ganz automatisch auch einen kupierten Jagdgebrauchshund haben. Tatsächlich werden praktisch überall in Europa nach wie vor die Ruten kupiert, auch in Ländern mit generellem Kupierverbot, weil viele Länder die Jagdhunde aus dem Verbot ausklammern. Ich habe bei Ausstellungen in Nordeuropa jedenfalls immer kupierte Jagdhunde angetroffen, und zwar weil man das Kürzen der Ruten nicht als ästhetischen Eingriff betrachtet, sondern als Präventivmassnahme, die der Unversehrtheit des Hundes im praktischen Jagdgebrauch dient.
Ich halte es für angemessen, dass diejenigen, die sich mit dem Entwurf des neuen Tierschutzgesetzes in Italien befassen, auch diesen Aspekt berücksichtigen. Wenn wir dem europäischen Modell folgen sllen, dann bitte zur Gänze, nicht mit Löchern hier und dort. Wenn ein Gesetz ohne Ausnahmeregelung für Jagdhunde in Kraft treten sollte, sind wir wieder einmal eine Anomalie in Europa und zwar nicht im positiven Sinne, denn das allgemeine Interesse solcher Gesetze muss der Schutz der Tiere sein.


Deutsch Drahthaar. Foto: Paolo Andrea Sangiorni

Warum wird das Ohrenkupierverbot nicht so schlecht aufgenommen?
EG: Mit Ausnahme weniger Rassen, etwa der Herdenschutzhunde, hatte das Beschneiden der Ohren ästhetische und kommunikative Gründe, die im engen Zusammenhang mit der Funktion des Hundes als Wach- und Schutzhund standen, einer Aufgabe, die ein etwas martialisches Aussehen des Tiers förderte, denn schon das Äussere sollte abschreckend wirken. Durch die Veränderung seiner sozialen Rolle ist die Funktion als Wach- und Schutzhund ins Abseits geraten: der Hund als Familienmitglied oder "Pet" hingegen ist immer mehr ins kollektive Bewusstsein getreten und hat die Entstehung einer "soften" Version des Hundes unterstützt bzw. dazu erzogen. Heute gefällt der Hund vor allem wegen seiner "infantilen" Aspekte; er ist dann besonders anziehend, wenn er möglichst viele körperliche Merkmale und Bewegungen des Welpen aufweist. Dass etwa die Retriever heute so populär sind ist sicher kein Zufall. Wahr ist aber auch, dass diese Geschmacksverschiebung für einige Rassen ein Glückfall war, andere jedoch in Schwierigkeiten gebracht hat. Der Dobermann zum Beispiel hat ausgerechnet in Deutschland einen starken Rückgang erlitten, obwohl er unkupiert derselbe sensible und sanftmütige Hund ist. Ein Beweis dafür, dass die Menschen einen Hund nicht in erster Linie wegen seines Wesens aussuchen (dieses zu wertschätzen kommt meist erst wenn man eine Rasse wirklich kennengelernt und gehalten hat), sondern wegens seines Aussehens. Und der unkupierte Hund mancher Rassen gefällt eben nicht mehr. Das mag ein nichtiger Beweggrund sein, aber die Antwort der Leute, in unanfechtbaren Zahlen aus Umfragen ausgedrückt ist diese: gewisse Rassen gefallen nur kupiert und nicht mit natürlichen Ohren und Schwänzen. Da kommen einem dann Zweifel, ob einige politische Entscheidungen wirklich die Antwort auf die Meinung der Allgemeinheit sind.

Vizsla. Foto: Sabine Middelhaufe

Machen Sie einen Vorschlag.
EG: Dass der unkupierte Hund als Hund der Zukunft und Gegenwart längst eine Realität in allen Ländern mit hoch entwickelter Hundekultur ist, findet meine volle Zustimmung, aber der Respekt fürs Tier ist Grundlage der Zucht. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Kürzen der Rute beim Jagdhund keine ästhetische sondern eine funktionale Frage ist, weshalb wir, in Übereinstimmung mit Deutschland, dem Pionierland des "vollständigen" Hundes das Rutenkupieren bei Hunden für den praktischen Jagdgebrauch erlauben sollten. Der Schutz des Hundes und vor allem unserer nationalen Rassen kann nur durch Gesetze erreicht werden, die in der Zucht, der guten Zucht, die Lösung sehen. Um ihn gut züchten zu können, muss der Hund eine soziale Rolle und eine Funktion haben: der Jagdhund drückt sich körperlich und verhaltensmäßig bei der Jagd aus, und folglich müssen die optimalen Bedingungen für eine gesunde sportliche und jagdliche Aktivität erhalten bleiben. Vergessen wir also nicht worum es beim Rutenkürzen geht: um Funktionalität, nicht um Schönheit.

Text (c) FederFauna. Übersetzung aus dem Italienischen mit freundlicher Genehmigung von FederFauna.

home Seitenanfang Menü Fotoalbum